Samstag, 3. Oktober 2009

„What is this? A loophole?“

Tag 10 – 1.10.2009:

Langsam hohle ich wieder auf, auch wenn ich diesen Eintrag mit einem Tag Verspätung eintippe und wohl mit zweien Verspätung fertig stelle und hochlade. Zum ersten Mal sind nur zwei Seiten meines Notizheftes beschrieben – sonst ist es das Doppelte. Daher nehme ich auch mal, dass die Review sich am Ende als sehr kurz herausstellen wird. Aber hinterher ist man immer klüger.

Muss ich Sawyers Verhalten noch groß analysieren oder interpretieren? Eigentlich ist uns doch allen klar, dass er sich selbst bestrafen will, weil er zu dem geworden ist, was er jagen und bekämpfen wollte. Er sucht die Konfrontation – er will von Kate gehasst, von Jack geschlagen und von Sayid gefoltert werden. Er wird zum Masochist, weil er Reue und Schuld empfindet und bestraft werden will. Da er aber gleichzeitig ein geborener Manipulator und Betrüger ist und seine Freiheit schätzt, käme er wohl nie auf die Idee sich der Polizei zu stellen und der Justiz auszuliefern. Stattdessen bringt er gezielt sein Umfeld gegen sich auf und zwar zwanghaft. Interessant daran ist in meinen Augen nach fünf Staffel einzig und allein das Muster des Charakters und die Dramaturgie. Bis Sawyers Geschichte am Ende dieser Folge aufgedeckt wird, war er der Antagonist der Serie. Er war der Charakter, den das Publikum in Ruhe hassen konnte, bis man dann in „Einzelhaft“ beginnt die Anderen einzuführen. Diese existieren als relativ anonyme Bedrohung für etwa eine Staffel. Da man ein Kollektiv von Gegnern ebenso schlecht ewig aufrecht erhalten kann, wie man auch bei den Helden nicht ohne Identifikationsfigur auskommt, kam Mitte der zweiten Staffel Ben ins Spiel. Er fungiert als das, was Sawyer in diesen ersten acht Folgen war, für zweieinhalb Staffeln. Ben konnte erst demaskiert werden, als der wahre Schurke schon am Ende der Staffel wartete und das Publikum mit Charles Widmore einen Charakter hatte, den man wirklich aus vollem Herzen verachten konnte. Vielleicht habe ich Ben auch deshalb schon in Staffel 2 verteidigt, weil ich mir damals schon dachte, dass er ein stückweit Sawyers Platz einnehmen würde und sich demnach mit der Zeit auch zum Anti-Helden entwickeln würde. Bei einer Serie wie „Lost“ kann man weder zu früh klare Fronten schaffen noch einen Schurken so lange mitschleppen, dass das Publikum ihn wirklich lieb gewinnt. Das ist das Problem bei Fernsehserien: Charaktere, die das personifizierte Böse sind, funktionieren nicht. Figuren wie Darth Sidious, Lord Voldemort oder Sauron leben davon, dass sie sich nur selten blicken lassen und man ihnen Faszination und Hass gleichermaßen entgegenbringt. Doch je mehr man eine Figur unterfüttert, umso mehr beginnt der Zuschauer Verständnis für sie aufzubringen. Wer zum Beispiel Harry Potter gelesen hat, wird bestätigen können, dass man Tom Riddle nach Band sechs nicht mehr richtig hassen konnte. Bei Serien haben wir zudem das Problem, dass der Zuschauer auch die Antagonisten über Jahre begleitet und das viel intensiver als bei einem Kinofilm. Die „Lost“-Macher sind bei Ben und Sawyer sehr geschickt vorgegangen und haben von Anfang an Zweifel gestreut, ob man sie nun als Schurken oder Helden sehen soll. Kaum eine als Schurke konzipierte Serien-Figur, die mehr als zwei Staffel überstanden hat, konnte sich als Verkörperung des Bösen etablieren. Ganz egal ob wir nun Sawyer und Ben nehmen oder uns einen Charakter wie Sylar („Heroes“) oder auch Logan Echolls („Veronica Mars“) ansehen: Das Publikum liebt solche Charaktere, weil sie sehr viel wahrhaftiger sind als schillernde Helden und dämonische Schreckgespenster. Zum Glück haben die „Lost“-Macher den Fehler vermieden Charaktere aus einer diesen beiden Kategorien zu kreieren.

Da wir also über Sawyer nicht viel Neues sagen können und auch die Handlung der Folge als solche wenige große Themen anspricht, gucken wir uns die Details genauer an: Sawyer liest das Buch „Watership Down“. Ich habe es zwar im Schrank stehen, bin aber leider noch nicht zum Lesen gekommen. Jedoch denke ich, dass zumindest die meisten von uns irgendwann mal die Verfilmung gesehen haben. Daher wissen wir alle: „It's about bunnies.Wer von dem Inhalt gar nichts weiß, sollte sich bitte die Zeit nehmen und Wikipedia bemühen, denn da bekommt ihr vermutlich ein besseres Bild als ich es durch eine kurze Inhaltsangabe, die die meisten langweilen würde, erzeugen könnte. Verzeiht mir also bitte, dass ich eine grobe Kenntnis des Inhalts einfach mal voraussetze. Ich will mich jetzt nicht darin verlieren, die ganzen Kaninchen bei „Lost“ aufzuzählen – weder reale noch metaphorische. Wir kennen sie alle von Bens nummerierten, zeitreisenden Puschelhäschen bis hin zu Jacks „Weißem Kaninchen“. Aber worum geht es in „Watership Down“ wirklich? Etwas Plakativ ausgedrückt: es geht um das Selbe wie bei „Lost“ – zumindest in den ersten drei Staffeln. Man kann eine Menge Parallelen ziehen: sowohl bei der Handlung als auch bei den Charakteren. Bei „Watership Down“ ist eine Gruppe von Kaninchen auf der Flucht vor einer für sie übermächtigen Bedrohung. Sie sind Verlorene, die auf sich gestellt in einer für sie fremden Welt klar kommen müssen. Bei den Charakteren muss man unterscheiden, ob man nun von unserem Wissensstand heute ausgeht oder von dem, was uns vor zwei Jahren noch suggeriert wurde. Denn wie oben erklärt, muss man gerade bei den Anderen festhalten, dass sie sich von den Feinden der Losties zu ihren „Beschützern“ entwickelt haben. Da wir uns aber noch in der ersten Staffel befinden, würde ich stark annehmen, dass wir den Bezug nicht in den Staffeln 4 und 5 suchen sollten, obgleich einige Vergleiche nach diesen beiden Staffeln stark hinken mögen. In den ersten Staffeln sind die Anderen für die „Losties“ jedoch ähnlich wie die Efrafa für die Kaninchen vom Watership Down (ihr merkt: ich habe die Anführungsstriche weggelassen, da ich jetzt den Hügel und nicht den Buchtitel meine ;-) ). Ben wäre demnach General Woundwort, obgleich er längst nicht so gewalttätig ist wie jener und anders als Ben es getan hätte ein Friedensangebot Hazels ausschlägt. Beide führen ihre Leute jedoch mit eiserner Hand, sorgen sich aber auch um sie. In späteren Staffeln ergeben sich aber auch Parallelen zwischen Charles Widmore und Woundwort. Hyzenthlay hätte, wenn man in Ben Woundwort wiedererkennt, jedoch in Juliet eine perfekte Entsprechung, da beide starke Frauen sind, die gegen ihre Anführer rebellieren und intrigieren, ehe sie am Ende sogar überlaufen. Jack und Hazel muss man als Paarung wohl nicht noch erklären. Für Fiver eine Entsprechung zu finden ist da schon schwieriger, auch wenn man bedenkt, dass dies eigentlich Boones Spitzname sein sollte. Locke hat Fivers Spiritualität, Desmond hat Vorahnungen, doch als schwaches und dennoch unverzichtbares Glied der Gruppe kommt er Charlie sehr nahe. Ähnlich schwierig ist es mit Bigwig, den man als Soldaten zwar in Sayid sehen könnte, der aber aufgrund seiner Stellung in der Gruppe und seiner Rolle im Kampf gegen die Efrafa wohl eher mit Locke gleichgesetzt werden könnte. Soweit bis hier hin zu den Kaninchen – wie gesagt: ich hoffe, dass ich mal die Zeit zu einem detaillierteren Vergleich finde.

Kommen wir als nächstes zu der Folterszene. Eines gleich vorweg: ich möchte mich an diesem Punkt nicht mit der Thematik „Sayid und Folter“ auseinandersetzen, denn dafür bekommen wir in späteren Folgen noch oft genug Gelegenheit und häufig sogar bessere. Mich interessiert vielmehr die Rolle, die Jack hierbei einnimmt. Ich weiß, dass der Einwand kommen wird, dass Jack – wenn meine Zeitschleifen-Theorie stimmen sollte – eigentlich wissen müsste, dass Sawyer die Inhalatoren (ein Wort, das Word nicht kennt... der macht mir da tatsächlich ’nen roten Kringel drunter und bietet mir „Inaladtoren“ an^^) nicht hat. Doch darum geht es mir jetzt gar nicht, auch wenn meine Hypothese dadurch Kratzer bekommt. Viel interessanter ist letztlich die Frage nach der moralischen und ethischen Vertretbarkeit seines Handelns. Wir erinnern uns, dass Sawyer Jack einst vorhielt, er würde nicht das große Ganze sehen, sei noch nicht in der Wildnis angekommen. Hier geht der Punkt eindeutig an Sawyer: er hat Jack von seinem hohen Ross geholt und ihn auf sein Niveau heruntergezerrt. Für mich war diese Folge vor knapp fünf Jahren der Punkt, wo Jack begann mir unsympathisch zu werden. Folter ist so ziemlich das Verwerflichste, was man einem anderen Menschen antun kann, da sie nur einem Zweck dient: das Opfer soll leiden. Jack entscheidet, dass Sawyers Unversehrtheit weniger wert ist als Shannons. Vom menschlichen Standpunkt her kann man dies vielleicht noch nachvollziehen, doch Jack ist Arzt und als solcher von seinem Berufsethos her verpflichtet, auch unsympathische Menschen gleichermaßen zu achten. Sawyer provoziert Jack genau damit: „Hey, Jack, there's something you should know: If the tables were turned, I'd watch you die.“ Denn was liegt in dieser Aussage versteckt? Zwischen den Zeilen sagt Sawyer damit: „Jetzt hast du dich schon auf mein Niveau begeben, dann sei auch konsequent!“ Sawyer will Jack zeigen, dass er nicht besser ist, denn das ist genau das Problem mit Jack: Er hält sich für erhaben. Für ihn gelten die Maßstäbe, die er bei anderen anlegt, nicht. Vielleicht könnte man sogar soweit gehen, dass Sawyer es (abgesehen von Kates Kuss) genau darauf angelegt hat: Jack und Sayid zu demütigen, indem er sie zu etwas treibt, was viel verwerflicher ist als sein eigenes Verhalten.

Dass Sawyer am Ende fast stirbt, ist wiederum nicht Jacks Schuld. Doch neben Sayid trägt dennoch jemand anders große Mitschuld daran und das ist Locke, der den Verdacht von sich auf Sawyer lenkt. Natürlich kam Sayids Wut auf Sawyer ihm gerade recht, um den Verdacht von sich abzulenken, ehe er überhaupt entsteht. Doch Sayid dann noch ein Messer zu geben kann man Locke nicht mehr so recht nachsehen. Am Ende ist Sawyer am Leben und Sayid auf der Flucht vor seinen eigenen Taten – wieder einer mehr.

Als Sawyer, nachdem Jack ihn zusammengeflickt hat, in seiner „Behausung“ am Strand erwacht, ist Kate bei ihm. Ehe sie auf den Brief zu sprechen kommt, sagt sie zu ihm: „You're lucky to be alive.“ Bei dem Satz hab ich gestutzt. Irgendwo hatte ich so etwas ähnliches schon mal gehört und ich hörte die Stimme meines Meisters, der sagte: „Be grateful you're still alive.“ Ich habe überlegt und überlegt, wann Ben das gesagt hatte und dann fiel es mir wieder ein: Als er Danielle Rousseau mit Alex im Arm verließ. Ihr werdet mir wohl recht geben, dass so ein Ausdruck durchaus etwas gönnerhaftes und zynisches hat, obgleich sowohl Kate als auch Ben durch ihr jeweiliges Handeln Sawyer bzw. Danielle vor noch schlimmerem bewahrt haben.

Es gab aber noch einen Satz, der mich aufhorchen ließ, oder vielmehr ein ganz bestimmtes Wort, wodurch mir auch bewiesen wurde, dass die Entscheidung die Folgen dieses Mal auf Englisch zu gucken goldrichtig war. David fragt Sawyer im Lokal: „What is this? A loophole?“ Vielleicht ist das ja völlig bedeutungslos, vielleicht sagt es aber sehr viel über den Zusammenhang zwischen Betrug, Manipulation und „Schlupflöchern“ aus. Denn es sieht doch ganz danach aus, dass das, was „Samuel“ für sein „Loophole“ hält, vermutlich eine Falle Jacobs ist/war/sein wird... welche Zeit auch immer.

Wo wir nun gerade mal wieder bei Jacob sind, müssen wir natürlich auch auf den Brief zu sprechen kommen. Hier wird zunächst einmal ersichtlich: Jacobs Weitsicht übersteigt „Samuels“ wohl noch einmal um einiges, denn selbst wenn Jacob gewusst hätte, dass Jim LaFleur in Wahrheit James Ford hieß und einige hundert Kilometer entfernt gerade miterlebt wie sein Vater erst seine Frau und dann sich selbst erschießt, bedarf es immer noch verdammt guter Planung ihn genau in dem Moment anzutreffen, in dem er den Brief schreiben wird, der ihn 30 Jahre später auf die Insel führt. Wäre Jacob an jenem Tag nicht bei der Beerdigung gewesen und hätte James mit einem Stift ausgeholfen, wäre der Brief vermutlich nie geschrieben worden und James wäre nie so besessen davon gewesen, jenen Mann zu finden, der seine Eltern tötete. Über eine Frage zerbreche ich mir aber immer noch den Kopf: Warum will Sawyer den Brief zunächst verbrennen und tut es dann doch nicht?

Ich gucke gerade mal so auf meine Notizzettel und abgesehen von einer nicht sehr gelungenen Karikatur von Ben und viel durchgestrichenem Zeug, stehen da noch zwei Sachen: „Eukalyptus“ und „Erdnussbutter => bescheuert!“ Da ich aber nicht mehr weiß, woran mich das – abgesehen vom offensichtlichen – genau erinnern sollte bzw. ob es mich überhaupt an etwas erinnern sollte, beende ich diese Zusammenfassung mal. Wenn alles gut läuft, bekommt ihr den Eintrag zu „Einzelhaft“ noch gegen Abend.

Macht’s gut und genießt den Feiertag!

Freitag, 2. Oktober 2009

You are a hero, sir. And don't let anyone ever tell you differently.

Tag 9 – 30.9.2009:

Langsam mache ich mir echt Sorgen um meinen Geisteszustand. Okay, die mache ich mir schon länger, aber Lost-technisch hat es ganz neue Dimensionen erreicht. Jetzt träume ich nachts schon, dass Staffel 6 mit einer Rückblende beginnt, in der Jack von „Samuel“ angesprochen wird, Dieser unterbreitet Jack irgendeinen Deal und man merkt auch erst dann, dass es kein Reset war, sondern eine Rückblende auf einen Zeitpunkt vor dem Absturz. An mehr kann ich mich leider nicht erinnern... aber es ist bedenklich. Ich hab sogar die Kamerafahrt mitgeträumt, in der dann enthüllt wird, dass die Person, mit der Jack redet, „Samuel“ ist. Da schärfste daran: ich war wirklich überrascht, obwohl es mein eigener Traum war. Bei den realen Folgen sind wir nun bei „Der Nachfalter“ angelangt. Obgleich diese Folge überaus spannend und interessant ist, kann man nach fünf Staffel daran nicht mehr sehr viel analysieren und interpretieren. Nur wenige der offenen Frage, mit denen man aus dieser Folge geht, wurden noch nicht beantwortet.

Beginnen wir daher ausnahmsweise mal am Ende. Auch wenn wir mittlerweile alle wissen, dass Locke Sayid niedergeschlagen hat und auch warum, bleibt doch eine Frage offen: Wie? Wie hätte Locke nach menschlichem Ermessen wissen können, wo er Sayid findet? Außerdem war er die ganze Zeit mit Charlie bei den Höhlen. Woher bzw. von wem wusste er überhaupt von Sayids Vorhaben? Die Antwort kennen wir letztlich alle, denn so viele Möglichkeiten gibt es ja nicht. Er wird gedacht haben, er wisse es von der Insel oder irgendeiner komischen Erscheinung, doch in Wirklichkeit dürfte wohl mal wieder einer unserer beiden speziellen Freunde da seine übernatürlichen Finger mit im Spiel gehabt haben. Eine andere wirklich zufriedenstellende Erklärung kann ich mir nur schwerlich vorstellen.

Wenn wir über Sayids Plan nachdenken und uns des Anfangs der Folge besinnen, landen wir dann mal wieder bei Jack. Als Jack mit Kate über den Plan spricht, ist er der festen Überzeugung, dass es ohnehin nichts bringen wird und drängt Kate weiterhin zu den Höhlen zu ziehen. Ganz ähnlich ist die Szene mit Charlie kurz vor dem Einsturz der Höhle. Jack will Charlie beruhigen: „Charlie, just calm down, alright. You're not yourself!“ Doch wirkt Jack dabei mehr verzweifelt, als erahne er, was passiert, wenn Charlie weiter brüllt. Zu „You’re not yourself!“ sagt bereits Charlie selbst das entscheidende: „You don't know me.“ In der Tat ist es doch verwunderlich, dass Jack nicht so etwas allgemeingültiges wie „Du bist völlig außer dir!“ oder „Du bist ja von Sinnen“ sagt. Nein, Jack meint, Charlie wäre nicht er selbst und das kann man eigentlich nur dann zu jemandem sagen, wenn man ihn schon länger kennt als eine Woche. Kommen wir nun aber zu Charlie selbst... und natürlich nicht zu vergessen: Sein kahlköpfiger Drogenberater!

Charlie spielt Gitarre, als Locke ihn auf einen Spaziergang einlädt. Was daraus geworden ist, können wir nur erahnen. Als wir Charlie das nächste Mal sehen, steht er mitten im Dschungel und ruft etwas ängstlich: „Locke? Is that you?“ – tja, das frag ich mittlerweile fast täglich. Kurz darauf wird Charlie von einem Wildschwein durch den Wald gejagt, das dann in Lockes Falle landet. Die Jagdszene überschneidet sich mit der Rückblende in der Kirche. Das zentrale Thema beider Szenen bringt Locke sehr gut auf den Punkt: „And having choices, making decisions based on more than instinct, is the only thing that separates you from him.“ Es geht letztlich darum, den inneren Schweinehund zu überwinden, sich selbst im Griff zu haben und nicht jeder Begierde nachzugeben. Der Kampf zwischen Verstand und Gefühl wird nun auf eine neue Ebene gebracht, denn diese beiden kämpfen nicht nur zwischen den Menschen miteinander, sondern auch in ihnen. Das ist es, was die Menschen ausmacht: Sie können Entscheidungen treffen, können ihren Begierden nachgeben oder auch nicht – oder können sie das etwa nicht?

Ein Materialist wie Ben hätte Charlie wohl etwas anderes erzählt. „What choice?“ Welche Wahl wird Charlie gelassen? Die Wahl, eine Wahl zu haben bzw. sich von Locke vorgaukeln zu lassen er hätte eine. Hätte irgendetwas von dem, was passiert ist, anders passieren können? Der Kampf zwischen Idealismus und Materialismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie. Am Ende der fünften Staffel obsiegt der Materialismus in der einen Zeiteben, während in der anderen der Idealismus zu siegen scheint. Jacob sagt Ben, als sie erstmals aufeinandertreffen, dass er eine Wahl habe. Doch die hat er nicht. Bens Entscheidung, Jacob zu töten, hatte er nicht zu treffen, weil es nie eine Entscheidung gab. „Samuel“ als Verkörperung des Kausalitätsprinzips hat alles so eingefädelt, dass es nicht anders passieren kann und er selbst hätte auch nie anders handeln können. Jacob suggeriert Ben unter der Statue oder auch Hurley im Taxi, dass ihnen eine Wahl bliebe. Gleichzeitig und dennoch in einer anderen Zeit ;-) wirft Jack eine kleine Atombombe in einen Schacht, weil Daniel etwas von Variablen und freiem Willen erzählt hat, doch wenn das stimmt, wieso redet Jack dann von Bestimmung? Eine Bestimmung, ein vorbestimmtes Schicksal, schließt den Freien Willen aus. Wie kann Locke sich also hinstellen und Charlie sagen, er habe eine Wahl? Ganz einfach: Es geht darum, dass Charlie bewusst kämpft und zwar gegen sich selbst. Die Entscheidung ist nicht das, was Locke wichtig ist oder dem Priester im Beichtstuhl. Vielmehr geht es um das Bewusstsein, sich nicht nachgegeben haben, denn würde ein Mensch sich darin ergeben, dass er nie einen freien Willen haben wird, würde er ihn vor Verzweiflung vermutlich erlangen oder völlig zugrunde gehen.

Die Szene mit dem Wildschwein hat auf das Staffel-5-Finale bezogen jedoch noch eine weitere Bedeutungsebene, die um einiges offensichtlicher ist: die Falle selbst. Ist Jacob das Wildschwein? Vielleicht! Ich glaube aber eher, dass Jacob Charlie ist und „Samuel“ ist das Wildschwein. Ben ist die Falle, das Werkzeug und Locke... nun ja, das gilt es wohl herauszufinden. Vermutlich ist Locke Locke. Jacob ist der Köder. Weder bei Jacob noch bei Charlie haben wir bislang erfahren, ob er sich seiner Rolle als Köder bewusst war. Die Szene gibt keinen Aufschluss darüber, ob Locke Charlie ohne dessen Wissen ausgenutzt hat oder nicht. Wir können aber wohl davon ausgehen, dass es mit Jacobs Tod nicht endet und er nicht bereitwillig auf „Samuel“ warten würde, wenn er sich nicht in der Sicherheit wägen würde, dass er im Tod triumphiert. „Samuel“ wartete also Jahrhunderte auf sein „Loop Hole“ und es kam: in Gestalt von Benjamin Linus. Wir wissen nicht, ob Jacob nicht sogar derjenige war, der die Dharma auf die Insel holte, denn wir können davon ausgehen, dass auch hier einige sein Interesse schon im Vorfeld geweckt haben dürften: etwa Ben oder Ethans Mutter Amy (Amelia?). Wir wissen auch nicht, ob Jacob nicht auch Ben in jungen Jahren mal einen Besuch abstattete – wie bei Kate oder James. Meine Theorie zu Bens Rolle in dem Kampf zwischen Jacob und „Samuel“ sieht wie folgt aus:

Jacob holt in unregelmäßigen Abständen Gruppen von Menschen auf die Insel unter denen stets einige Auserwählte sind. Letztlich sucht er aber nach dem einen, der sich aus seinem Einfluss befreit. Jacob weigert sich, die Anführer der Anderen persönlich zu treffen, weil er auf den einen wartet, der trotzdem darauf besteht. Richard hat die Anordnung den Anführer solange hinzuhalten und zu verunsichern, bis jener darauf besteht, Jacob zu treffen. Das würde erklären, warum Richard in den letzten drei Folgen von Staffel 5 handelt wie er handelt. Aus irgendeinem Grund ist es für Jacobs Sieg von entscheidender Bedeutung, dass der Anführer gegen ihn rebelliert und ihn sogar tötet. Jacob will, dass alles genau so passiert. Es ist eine Art psychologisches Experiment, bei dem gezeigt werden soll, dass die Menschen in der Lage sind ohne göttliche Autorität auszukommen. „Samuel“ weiß das aber nicht und wartet ebenfalls auf jemanden, der das Potenzial hat, Jacob in Frage zu stellen. Vielleicht gibt er selbst Befehle, die angeblich von Jacob sind, an die Anderen und will so im Gegenzug die Abhängigkeit unter Beweis stellen. Dann kam Ben – ein hochintelligenter, emotional verkrüppelter Junge auf der verzweifelten Suche nach einer Vaterfigur. Dass Ben das Potenzial zum Rebellen hat, zeigt sich gegenüber Charles ganz deutlich. Jetzt muss „Samuel“ nur noch einen Weg finden, Ben dazuzubringen, dass er von Jacob als Vaterersatz enttäuscht ist und gegen ihn aufbegehrt. Ben zu manipulieren ist keine leichte Sache. Locke hingegen lässt sich leichter formen. Nur wer außer den höheren Mächten selbst kann schon sagen, wer welches „Wunder“ vollbrachte? Deshalb ist es auch so schwer zu sagen, wer Locke und Ben wann, wie lenkte und was sie auch aus eigenem Antrieb taten. Ben hat uns selbst immer wieder eindrucksvoll bewiesen, wie berechenbar die Menschen doch sind. Wir sprechen von Ben immer als großem Manipulator, aber in erster Linie ist er – genau wie „Samuel“ – vor allem anderen ein aufmerksamer Beobachter. Wer Menschen manipulieren will, ohne dass sie es merken, muss sehr viel globaler agieren als man vielleicht glauben mag. „Samuel“ musste alles exakt planen, jedes Detail im Voraus berechnen und die Handlungen seiner Werkzeuge vorhersagen können. Und da schließt sich der Kreis zur Entscheidungsfreiheit. Freier Wille ist eine Illusion – alles passiert, wie es passieren muss. Jedes Ereignis ist eine Folge des vorangegangenen.

Für Locke und Charlie bedeutet das: Locke fordert von Charlie das Heroin ein, indem er ihm im Tausch das einzige anbietet, was ihm mehr wert ist. Nun hat Locke die Drogen und zwingt Charlie so, nicht seinen niederen Instinkten nachzugeben. Als Charlie das zweite Mal nach den Drogen fragt, kommt nun endlich der Nachtfalter ins Spiel. Offenkundig ist der Nachtfalter eine Analogie zu Charlie. Aber nicht nur: Letztlich ist er eine Analogie auf alle Lost-Charaktere, die Leid und Prüfungen der Insel überstehen müssen, um ihren Frieden zu finden. Bei Charlie endet das zwar für seine Charakterentwicklung positiv, doch für ihn selbst... nun, wir wissen alle, wie es mit ihm zu Ende ging. Apropos: Charlie hätte zweimal bei der Höhle und einmal auf der Flucht vor dem Wildschwein sterben können. Andere Charaktere leben zwar noch und sind durch ihr Leid stark geworden, haben dafür aber auch gute Charakterzüge eingebüßt. Man denke an Ben, dessen Leid ihn zu einem verbitterten, einsamen Intriganten formte. Er zügelt seine Emotionen und Begierden fast zu sehr, rationalisiert alles. Doch das führt dazu, dass seine Emotionen sich schubweise entladen. Wenn Ben emotional reagiert, kommt es einem Vulkanausbruch gleich. Charlie hingegen ist nun einmal überaus emotional. Er trifft Entscheidungen, sofern es so etwas gibt ;-), aus dem Bauch heraus! Anders als sein Bruder – und zu dem kommen wir jetzt – ist Charlie dabei selten egoistisch, allenfalls verzweifelt und dann begeht er Dummheiten.

Ich möchte zu Liam Pace mal etwas zitieren, was Volker Pispers einst über unseren Bundesinnenminister sagte: „Wenn ich so Leute [...] sehe, dann frag ich mich: Wie steigert man eigentlich Arschloch?“ Liam ist für mich der erste Charakter bei „Lost“, bei dem selbst ich als überzeugter Pazifist dachte: dem sollte man mal ordentlich eins in die Fresse geben - und damals wusste ich noch nicht, was er mit Charlies Klavier anstellen würde. Liam ist das genau Gegenteil zu Charlie: egoistisch, narzisstisch und heuchlerisch. Er braucht Charlie und das weiß er. Er bringt Charlie gegen dessen Willen dazu weiterzumachen und mit ihm auf Tour zu gehen: „Your songs that got us signed. I'm just a clown with a pretty face that sings them. And you want to take away my chance to be somebody?“ – „Liam, it's not about you. It's -- I love the band. It's not who I am. Sometimes I just get LOST in it.“ Später will er dann die Lorbeeren ernten und drängt sich in den Vordergrund. Charlie geht es um die Musik, die Kunst – Liam will einfach nur auf Rockstar machen, um Groupies abzuschleppen und sich mit Drogen vollpumpen zu können – frei nach der Devise: „Hiya kids. Here is an important message from your Uncle Bill. Don't buy drugs. Become a pop star, and they give you them for free!“ (Billy Mack – gespielt von Bill Nighy – in „Love Actually“). Am Ende sagt Liam etwas zu Charlie, was ihn nicht nur in den Drogenkonsum treibt, sondern uns auch die Gelegenheit gibt, Liam die Antworten zu geben, die Charlie ihm zu geben versäumt: „I am Drive Shaft! Nobody even knows who the sodding bass player is. This is it, Charlie -- end of the rainbow. You really think you can walk away? Then what, eh? Face it: if you're not in this band, what the bloody hell use are you?“ Wozu ist Charlie nütze? Was ist seine Bestimmung? Eines können wir schon einmal direkt festhalten: Liam hat Unrecht, wenn er glaubt Charlie sei ein Niemand, denn: „You are a hero, sir. And don't let anyone ever tell you differently.“ Für alle, die jetzt gerade nichts mit diesem Zitat anfangen können: Das war die Nummer #2 auf Charlies Greatest-Hits-Liste. Charlie hat – ähnlich wie etwa Shannon oder der junge Ben – über Jahre eingetrichtert bekommen, nichts wert zu sein. Während Shannon darauf mit Frustration und Abweisung gegenüber anderen reagiert und Ben sich in seiner Verzweiflung an Jacob wendet, der ihn nur aufs Neue wieder und wieder enttäuscht, macht Charlie sich bewusst schlecht. Seine Bandkarriere hebt er stets als einzige Stärke hervor. In allen anderen Belangen redet er von sich selbst schlechter als andere von ihm denken. Locke will ihm zeigen, dass er stärker und besser ist, als er es von sich selbst glaubt. Oder um Jack zu zitieren: „Yes, you can!“ (jetzt wissen wir endlich, von wem Obama den Slogan „Yes, we can!“ hat).

Als wir Liam ein (vorerst) letztes Mal begegnen wohnt er mitsamt seiner Familie in Sydney und die Rollen sind vertauscht: Nun ist Charlie der Junkie (und wir wissen, wer daran Schuld hat) und braucht Liam, um Drive Shaft am Leben zu halten. Hier zeigt Liam seines wahres Gesicht besonders deutlich: Er versteckt sich hinter seiner Familie, um die sich zu Beginn Charlie mehr kümmerte als er selbst, und speist seinen Bruder mit hohlen Phrasen und halbherzigen Mitleidsbekundungen ab. Er verrät Charlie, schlägt ihm jenen Gefallen aus, um den er selbst Charlie einst bat. Charlie kam der Bitte seines Bruders damals widerwillig nach und endete als Junkie und verarmter Ex-Rockstar in Liams Garten. Der Bruder, der Charlie alles nahm, verweigert ihm nun den Gefallen zu erwidern, der Charlie einst ins Verderben stürzte.

Den Themenkomplex „Religion“ schon im Hinterkopf, komme ich mir ein wenig komisch vor, nun nach diesen ellenlangen Analysen auf die Leitmotive zu sprechen zu kommen, da diese vermutlich vom Rest des Recaps erdrückt werden. Ich bringe sie dennoch zur Sprache: Als Charlie durch den Schacht zu Jack in die Höhle gekrochen ist, sagt er: „I'm here to rescue you!“ Kommt euch dieser Satz auch so vertraut vor wie mir? „I'm Daniel Faraday. I'm here to rescue you.“ Das bedarf wohl keiner weiteren Erläuterungen, oder?

In der Episode fällt immer wieder der Satz „We walk away!“ Unmittelbar damit ist natürlich das Motiv der Flucht verknüpft. Neben Charlie gibt es zahlreiche anderer Charaktere, die vor irgendetwas fliehen und bei den wenigsten ist es so offensichtlich wie bei Kate. Die meisten laufen vor sich selbst davon – wie Charlie. Locke will die Insel nicht verlassen, weil er vor der Welt da draußen fliehen will. Jack wollte in gewisser Weise seinem Vater entfliehen und wird auf der Insel von ihm verfolgt. Sawyer flieht vor seinen Taten, seinem Gewissen – ganz ähnlich wie Sayid und Kate. Sie alle sind auf der Flucht und laufen davon.

Ein letztes Detail, das ich einfach der Vollständigkeit halber kurz erwähnen will: Jack Schulter ist ausgekugelt und Charlie muss sie wieder „einkugeln“^^ => Juliet

Kommen wir nun zum letzten Punkt auf meinen Notizzetteln: Religion (ich sagte doch „kurz“ – bezieht sich auf die Schultergeschichte). Da dieser Rückblick schon lang genug ist und wir noch oft genug auf Religion zu sprechen kommen werden, beschränke ich mich mal auf die Sache mit dem Beichtstuhl. Charlie vergleicht die Höhle, als er Jack gegenübersitzt, mit einem Beichtstuhl, woraufhin Jack erwidert, er sei kein Beichtvater. Zu Beginn sehen wir Charlie in der ersten Rückblende in einem richtigen Beichtstuhl und er umschreibt beschämt und voller Euphemismen eine Sexorgie mit zwei Groupies. Charlies Beziehung zur Religion ist sehr zwiespältig. Anders als etwa Eko oder Ben, die einfach auf Gott vertrauen und stets glauben, dass er ihnen ihre Sünden vergeben wird, wenn man den tieferen Zweck dahinter darlegt, fürchtet Charlie Gott. Er wendet sich von ihm ab, weil er glaubt es ihm nicht recht machen zu können. Für ihn scheint die Beichte weniger den Sinn zu haben, sich von seinen Sünden zu befreien und Reue zu zeigen, als vielmehr sich selbst Gottesfürchtigkeit einzureden, indem er einem religiösen Ritual verhaftet bleibt, dessen Sinn und Zweck er nicht verinnerlicht zu haben scheint. Die Beichte ist für ihn eine Pflichtübung. Das widerspricht eigentlich Charlies Naturell, denn er ist häufig selbstlos ohne darüber nachzudenken, was er sich davon versprechen könnte. In der katholischen Kirche soll man selbstlos sein, um in dem Himmel zu kommen. Bereits Luther erkannte schon vor über 500 Jahren, dass man kaum selbstlos sein kann, wenn man anderen nur mit dem Hintergedanken hilft, dass es vor Gott gut aussieht. Es ist nicht gerade altruistisch anderen zu helfen, damit man selbst besser dasteht oder sich selbst vormachen kann, was für ein guter Mensch man doch ist. Wirklich selbstlos sind nur jene, die anderen helfen oder sich selbst aufopfern, ohne an mögliche Konsequenzen welcher Art auch immer zu denken.

Ich denke: das reicht fürs erste. Ob ich mit „Der Betrüger“ heute auch noch fertig werde, weiß Jacob allein!

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Morgen wird aufgeholt

Auch wenn ich gestern planmäßig geuckt habe und gleich wohl noch die nächste gucken werde, bin ich irgendwie nicht so recht zum Schreiben bekommen. Also morgen gibt es dann sowohl die Zusammenfassung zum Nachtfalter als auch zum Betrüger. Und wer weiß, vielleicht schicke ich die dann schon aus der Einzelhaft.
Sorry, aber im Moment geht alles drunter und drüber.
Was in der Zusammenfassung zu "Der Nachtfalter" in jedem Fall thematisiert wird:
  • Lockes Angriff auf Sayid
  • Jacks Gewissheit (wiedereinmal)
  • Symbolik des Nachtfalters
  • Charlies Werdegang und Bestimmung
  • Liam Pace
  • Religiöse Aspekte
  • Deutung der Szene, in der John das Wildschwein fängt
Jetzt habt ihr zumindest schonmal eine Ahnung, was auf euch zukommt ;-)

Edit (kurz vor 14.00 Uhr): Ich sitze immer noch am Nachtfalter. Komisch: Erst wusste ich gar nicht was ich schreiben sollte und jetzt, weiß ich nicht mehr wie ich aufhören soll^^

Mittwoch, 30. September 2009

„Are you sure this is where you want to be?“

Tag 7 – 28.9.2009:

Der eine Artikel ist gerade fertig und hochgeladen – jetzt ist erst einmal Mathe dran.

Tag 8 – 29.9.2009:

Wenn ich noch eine Exponentialfunktion sehe, schrei ich. Aber bei „Lost“ läuft’s auch nicht so bombig – eine Sun-zentrische Folge steht an und Sun ist ja bekanntlich mein ganz besonderer Lieblingscharakter... . Macht euch drauf gefasst, dass es in dem Stil weitergeht und der heutige Eintrag nur so vor Sarkasmus triefen wird^^, wenn es um Sun geht.

Also auf zum „House of the Rising Sun“ oder ohne schönes Wortspiel, das man aufgrund der Popularität des zitierten Songtextes eigentlich unübersetzt hätte übernehmen können: „Die Höhlen“ - *gähn*. Viele der in dieser Episode angerissenen Handlungsfäden sind mittlerweile beendet und die meisten Rätsel aufgedeckt. Aber der Teufel steckt nun einmal im Detail. Eine Sache ist mir vor allem durch die Zusammenfassung zu Beginn aufgefallen: Michael spricht von Walt praktisch nie als seinem Sohn! Er sagt fast immer „my boy“ („mein Junge“) und nicht „my son“ („mein Sohn“). Könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Walt gar nicht Michaels Sohn ist.

Die Episode selbst wird wieder mit einem Auge eröffnet. Diesmal allerdings mit einem Schlitzauge. Sun testet mal wieder ihren grünen Daumen aus und belauscht Jack und Kate (wer den Smalltalk dieser beiden belauscht, muss echt zu viel Zeit haben), während ihr Mann Fische fängt und in bester Renate-Künast-Manier (den Ausschnitt kennt ja wohl mittlerweile so ziemlich jeder) tot knüppelt, indem er sie wieder und wieder vor ein Wrackteil haut. Es sagt doch viel über Suns Charakter aus, dass sie ihre scheinbare Sprachbarriere ausnutzt, um anderer Leute Gespräche zu belauschen. Die Unterhaltung über Jacks Tattoo mag zwar nicht sonderlich spannend sein, privat ist es dennoch. Über die Tätowierung selbst ist von vielen klugen Leuten mittlerweile schon alles gesagt worden. Deshalb will ich mich daran gar nicht erst aufhalten.

Gehen wir mal gut gelaunt in Suns und Jins Vergangenheit. Während der Gesellschaft, auf der Jin kellnert, treffen sich die beiden heimlich. Sun sagt bereits hier, dass sie am liebsten nach Amerika fliehen würde. Jin will jedoch sein Glück bei Mr. Paik versuchen. Wir haben bei Jin, Sun und ihrem Vater eine ganz ähnliche Konstellation wie bei Desmond, Penny und Charles Widmore. Anders als Desmond will Jin jedoch von sich aus mit Mr. Paik reden und schafft es nicht nur ihn zu überzeugen, sondern bekommt auch einen Job von ihm – nicht ahnend, was das bedeuten wird. Desmond hat – wie wir uns erinnern – schlechter abgeschnitten, obwohl Paik einer der wenigen Charaktere ist, die noch unsympathischer sind als Charles „ich-hacke-zum-Verhör-gerne-Hände-ab“ Widmore. Charles besitzt ja zumindest gegenüber seiner eigenen Tochter ein gewisses Maß an Anstand. Im Großen und Ganzen sind die Parallelen und Unterschiede wohl so offensichtlich, dass ich euch nicht mit einer detaillierten Analyse langweilen muss. In den Rückblenden finde ich ansonsten nur noch ein anderes interessantes Detail: Wieso prangt neben der Uhr am Flughafen, die durchaus abseits des Schalters hängt, ein relativ großes Oceanic-Logo? Man sieht es nur sehr kurz, als Sun zur Uhr („11:15“) und dann zum Wagen draußen vor dem Terminal blickt. Natürlich ist es nicht unüblich, dass direkt am Schalter Werbung hängt. Doch diese Uhr hängt wirklich penetrant alleine an der Säule. Es wirkt alles sehr arrangiert.

Und da wir gerade bei Uhren sind, kommen wir nun auch zu Jin und Michael. Jin stürmt auf Michael los und verprügelt ihn wegen der Armbanduhr. Bemerkenswert ist hier jedoch viel mehr das Geschehen um den Kampf herum. Die Reaktionen der einzelnen Personen sagen sehr viel aus. Jack, Kate und Locke sind weg – wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Walt schreit. Sun schreit. Einige Leute werden auf den Kampf aufmerksam, bleiben jedoch abseits stehen. Wer greift ein, zeigt Zivilcourage? Ausgerechnet: Sawyer und Sayid, die sich ein paar Tage zuvor am selben Strand selbst noch wegen einem Paar Handschellen geprügelt haben. Und was soll Sawyer holen, als er und Sayid die beiden Streithähne getrennt haben? – genau: Die Handschellen.

Als Jin dann ans Flugzeugwrack gekettet wurde, zeigt Sun immer wieder auf ihre Armbanduhr. Da sie aber nicht sagen kann, dass es um die Uhr ging, wird sie missverstanden: „The cuffs stay on.“ Nachdem sie Michael das Problem unter vier Augen erklärt hat, sucht dieser Jin auf und in seiner Schimpftirade fällt ein überaus bemerkenswerter Satz: „Mine broke and I found this in the wreckage, and I figured, hey, why let a $20,000 dollar watch go to waste which is ridiculous since time doesn't matter on a damn island.“ Auf der Insel spielt Zeit im klassischen Sinne in der Tat keine Rolle, da sie sich nun einmal unabhängig davon bewegen kann. Allerdings ist aber genau das der Grund, weshalb Zeit an und für sich sogar eine ganz entscheidende Rolle spielt. Hier werden wir also auch auf die Bedeutungen von Uhren in „Lost“ ganz allgemein hingewiesen. Neben der Uhr, die Jin für Mr. Paik in die USA bringen soll, und der Uhr am Flughafen tauchen noch viele andere Uhren auf, die eine besondere Rolle spielen: Die erste Mobisode drehte sich ausschließlich um eine Uhr und trug daher auch den Titel „The Watch“. Bens Armbanduhr gibt bei dessen Konfrontation mit Jack (Ende Staffel 3) den Takt an. Ein weiterer Countdown beherrscht die ganze zweite Staffel: Der Zähler im Schwan. Daniel gelingt es durch seine Uhr die Zeitdifferenz zwischen Insel und Frachter erstmals zu beweisen. Die Uhr als Symbol für die Zeit, aber auch für die Ratio, ist ein Leitmotiv von „Lost“ – wie Spiele, religiöse Symbole oder die Zahlen. Warum wird die Insel denn nicht verschoben, indem Ben einen Knopf drückt oder an einem Hebel zieht? Ganz einfach: Die schwerfällige, aber präzise Mechanik des Rades hat etwas von einem riesigen Uhrwerk, dessen Zahnrad manuell vor- bzw. zurückgestellt wird. Gleichzeitig haben Uhren und Räder den Kreislauf gemein – es gibt keinen Anfang kein Ende. Im Gegensatz dazu dann der Countdownzähler, der immer wieder auf Anfang gesetzt wird, wenn er durchgelaufen ist.

Kommen wir nun zu Handlungsfaden Nummer 2: John und Charlie. Jack fordert Charlie auf in den Wrackteilen nach Medikamenten und „Drugs“ zu suchen. Charlie wird wohl gedacht haben: „Drogen? Eye, gut, dass du mich dran erinnerst, Jack!“ Deshalb verzieht er sich auch und stellt ich mit seiner Bienenphobie und einem Klümpchen Heroin auf ein Bienennest. Wiedereinmal darf Jack kommen und ihn retten, doch ein kleiner Fehltritt und die Beinen greifen an. Komisch ist vor allem, dass Charlie trotz seiner angeblichen Bienenallergie und über hundert Stichen danach noch im Stande ist Witze über „Körbchen“ zu machen. Wann Locke Charlie genau durchschaut hat oder ob vielleicht sogar die Insel ihm gesteckt hat, dass der kleine Rock’n’Roll-Hobbit auf Droge ist, werden wir vermutlich nie erfahren. Jedenfalls tritt Locke hier als Sprecher der Insel auf, wenn er Charlie sagt, er müsse der Insel etwas geben, damit sie ihm etwas gibt. Charlie tritt seine Drogen letztlich nicht an die Insel ab, sondern an John, der Charlie dann auch zeigt, wo seine Gitarre hängt. Die Gitarre ist auf wundersame Weise intakt: Ob sie aus der „Magic Box“ kommt?

Der letzte Handlungsfaden, der auch der deutschen Fassung ihren Namen gibt: Die Höhlen. Jack will umziehen. Warum ist er so besessen davon? Nicht das seine Argumente nicht einleuchtend wären, doch er beharrt darauf, dass es eigentlich keine Alternative gibt. Er ist der festen Überzeugung, dass keine Rettung kommen wird. Wieder ein Indiz dafür, dass er doch irgendwie mehr weiß?! Der Einwand zur letzten Folge war folgender: Wieso führt Jack sie nicht gleich zu den Höhlen? Meine Antwort: Nehmen wir mal an, er sitzt in einer Zeitschleife, so wissen wir, dass es dann zwar eine menge Konstanten gibt und im Wesentlichen nichts verändert werden kann. Doch unter Umständen gibt es winzigkleine Variablen, die sich auch Desmonds Zeitreise äußerten: Obwohl alles wieder beim gleichen Ergebnis rauskommt, hatte er doch die Möglichkeit zu winzigen Veränderungen. Unter Umständen weiß jack auch nur schubweise oder in groben Zügen, was passieren wird, aber nicht im Detail, weil die Details nicht konstant sind. Zugegeben: keine Hypothese mit der ich selbst sehr glücklich wäre, aber denkbar wäre es.

Jack will also zu den Höhlen. Kate hingegen möchte am Strand bleiben, obwohl sie nicht einmal gerettet werden will. Schließlich würde die Rettung für sie im Knast enden. Ist es die innere Rastlosigkeit, die sie davon abhält? Würde sie den Strand verlassen und in die Höhlen ziehen, würde sie in gewisser Weise sesshaft werden. Die Vorstellung allein kann sie schon nicht ertragen. Sie kann den Gedanken nicht zulassen und reagiert auf jede Frage ausweichend. Sie ist weder für Strand noch für die Höhlen: Sie ist gegen beides! „I don’t wanna be Eve!

Ach, da hätt’ ich doch fast die zwei modernden Leichen vergessen. Adam und Eva – oder sollte ich lieber sagen „Rose und Bernard“? Denn aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um eben diese. Wäre dem so, würde auch das gegen einen Reset und für eine Zeitschleife sprechen. Darauf werde ich mal genauer eingehen, wenn ich etwas mehr Zeit und Nerv habe. Was wir jedoch weit weniger erahnen können: Was hat es mit den Steinen auf sich? Wer hat die beiden in den Höhlen zur Ruhe gebettet? Seit wann liegen sie nun wirklich da?

Und noch eine Frage bleibt nach dieser Folge offen: Warum hat Hurley noch Batterien für seinen Walkman, obwohl Sayid alle Energiezellen für sein Funkgerät haben wollte?

Montag, 28. September 2009

Kurze Info

Puh, bin gerade ziemlich gerädert nach Hause gekommen. Da nun auch noch zwei meiner anderen Nachhilfeschüler in den nächsten Tagen Klausuren bzw. Klassenarbeiten schreiben, werd ich wohl vor Mittwoch nicht zur Zusammenfassung von "Die Höhlen" kommen. Ich kann nur hoffen, dass ich den Rückstand demnächst wieder ausbügeln kann. Da aber - daher auch die Umfrage - offenbar weit mehr Leute lesen als Gucken, will ich auch nicht einfach irgendwas hinklatschen, nur um im Zeitplan zu bleiben. Für solche Fälle haben wir bzw. vor allem ich schließlich den Puffer.
Ich bitte euch um Verständnis. Glaubt mir, ich würde auch lieber Lost-Rezensionen schreiben als Matheaufgaben konzipieren. Aber ich kann die drei nun mal nicht für Lost hängen lassen. Vielleicht schaff ich ja demnächst dafür mal zwei Folgen an einem Tag. Also: Ganz großes Sorry! Ich halte euch auf jeden Fall auf dem Laufenden und bis dahin,
Namaste!

Tag 6 und Jack im Wunderland

Kurz nachdem ich mein Kreuzchen machen war, hab ich mit „Jack im Wunderland“ – „Das Weiße Kaninchen“ – angefangen. Da ich aber auch den Wahlabend etwas verfolgen wollte und recht viel zu tun habe, kommt die Review erst heute und fällt auch etwas knapper aus. Im Nachhinein bereue ich es ein wenig den Wahlabend verfolgt zu haben – besonders, weil ich gerade beim Essen war, als ein Interview mit Roland Koch kam. Da ist mir irgendwie der Appetit vergangen ;-). Tja, und das Wahlergebnis war ja wie zu befürchten. Guido Westerwelle als Außenminister – da hilft nicht mal auswandern, denn der kommt ja hinterher^^. Darf sich jetzt halt Schwarz-Gelb mit der Wirtschaftskrise rumschlagen. Bin mal gespannt wie lang das gut geht. Kommen wir aber nun zu angenehmeren Dingen. Mein Notizblock ist wieder voll. Aufgrund meiner knapp bemessenen Zeit kommt jetzt alles im Telegrammstil STOP Beginnen wir mit der Rückblende am Anfang STOP Scherz beiseite STOP

Die erste Einstellung zeigt mal wieder Jacks Auge. Jack liegt am Boden und sieht wie Marc Silverman verprügelt wird. Die meisten wären liegen geblieben, aber Jack greift tatsächlich ein und kassiert die Quittung direkt in sein Gesicht. Jahre später sitzt der erwachsene Jack am Strand, als Charlie zu ihm rennt und ihn auf eine Person im Wasser aufmerksam macht, die seiner Hilfe bedarf. Vieles rund um diese Rettungsszene ist überaus bemerkenswert:

· Warum behauptet Charlie, er könne nicht schwimmen? Wir wissen alle, dass er sogar ein ausgesprochen guter Schwimmer ist. Es wäre etwas gewagt zu behaupten, dass wir Staffel 3 eine andere Zeitlinie gesehen haben als in Staffel 1. Wenn dem nicht so ist, muss er lügen.

· Danach springt also Jack ins Wasser, um jemanden an Charlies statt zu retten. Wieder zeichnen sich Parallelen zu dem durch die Zeit gereisten, nun hellsichtigen Desmond ab. Nicht nur die Art wie Jack ins Meer watet. Auch das was er tut: er rettet jemanden, damit Charlie diese Person nicht retten muss. Doch als er im Wasser ist, rettet er nur den Retter: Boone. Wir erinnern uns: Desmond sagte, nachdem er Claire aus dem Wasser geholt hat, zu Charlie, dass er nicht sie, sondern ihn gerettet habe.

· Bleiben wir noch einen Moment bei der Zeitreisen-Hypothese: Nachdem Jack Boone gerettet hat und schon länger wieder am Strand ist, weil es ihm nicht möglich war Joanna auch zu retten, entsteht bei dem Dialog mit Kate fast der Eindruck, als hätte Jack bei mehr versagt, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Was hätte es geändert, wenn er mit ihr gesprochen hätte? Außer natürlich er hätte ihr gesagt: „Geh’ nicht schwimmen, sonst ersäufst du!“ Ist Jack am Ende deshalb so frustriert, weil er denkt, er hätte sie DIESES MAL retten müssen?

· Er macht sich weiterhin Vorwürfe, weil er gedacht hat, er könne beide retten.

· Da schließt sich auch direkt das Problem der Entscheidung an. Wieso entscheidet er sich für Boone, dessen Tod er ohnehin nur ein weiteres Mal hinauszögert (Charlie ist nicht der einzige, bei dem wir auf so etwas achten sollten ;-))?

· Kate sagt über Joanna: „Her name was Joanna, she wasn't supposed to be on the plane. […] She bumped her flight. That's how she ended up with us.“ Sie hätte gar nicht im Flugzeug sein sollen! Ist sie im Ozean gestorben, weil sie nie für die Insel bestimmt war und den Absturz wirklich nur durch viel Glück überlebt hat?

Noch während seines Gesprächs mit Kate sieht Jack erneut Christian – diesmal steht er im Wasser. Christians Erscheinungen in dieser Folge wollen wir uns bei der Gelegenheit doch mal genauer anschauen. Betrachten wir zunächst die Fakten: Christians Leiche ist aus seinem Sarg verschwunden. Christian taucht irgendwo auf und verschwindet plötzlich wieder. Er spricht kein Wort. Erst in späteren Folgen redet er zu einigen der Überlebenden: Claire, John und Sun (mit Frank natürlich auch). Christian hat außerdem Vincent zu Jack geschickt, um ihn zu wecken, weil es Arbeit für ihn gebe. Wir können ferner vermuten, dass nur Jack Christian sieht, da die Erscheinung mit niemandem außer ihm zu interagieren scheint. Eine Person, die plötzlich auftaucht und wieder verschwindet, würde auch anderen auffallen. Jetzt stellen sich drei Fragen: Ist Christian – genau wie der falsch Locke – eine „Tarnung“ von Jacobs Gegenspieler? Ist Christian wie Yemi (davon kann wohl ausgehen) eine Verkörperung des Monsters? In welchem Zusammenhang steht Christian überhaupt zu Jacob, „Samuel“, Monster und der Hütte?

Das einzige Wesen, das bislang in der Lage war zu entscheiden, wer es wann sieht, war der Mann in der Hütte, den wir lange für Jacob gehalten haben. Denn wenn nur Jack Christian sieht, wäre es nur logisch, dass er nicht wirklich verschwindet, sondern nur für Jack wieder nicht sichtbar ist. Das würde zu den Erscheinungen Walts im Dschungel und zu Ekos Visionen von Yemi passen. Es gibt hingegen offensichtliche Unterschiede zum falschen Locke: „Samuel“ war es, soweit wir wissen, nicht möglich sich zu teleportierten oder sich unsichtbar zu machen bzw. dafür zu sorgen, dass nur bestimmte Personen ihn wahrnehmen. Wobei es gut möglich wäre, dass er es einfach gänzlich unterlassen wollte, um nicht das Risiko einzugehen, enttarnt zu werden. Doch dann bleibt die Frage, wieso Lockes Leiche im Gegensatz zu Christians und Yemis nicht verschwindet. Letztlich ist es ja genau diese, die „Samuels“ Täuschung auffliegen lässt. Leider wissen wir wenig über den vollen Umfang von „Samuels“ und Jacobs Kräften.

Auch die filmische Umsetzung von Jacks Suche beinhaltet interessante Details: Zunächst rennt er wie bekloppt über den Strand und ein Stück durch den Wald – vergleichbar mit der ersten Szene des Pilotfilms. Hat Jack seinen Vater damals schon einmal gesehen? Später als Jack nach Christian ruft, steht Jack auf einer Lichtung und die Kamera rotiert um ihn herum – eine ähnliche Einstellung wird auch oft verwendet, wenn jemand das Flüstern hört. Außerdem können wir weitere Parallelen zwischen Christian und Locke ausmachen – so tragen etwa beide einen blauen Anzug als sie beerdigt werden sollen.

Aber wo führt Christian Jack hin? Zunächst einmal führt er ihn geradewegs über eine Klippe. Wenn Christian nicht er selbst ist, würde der Schluss nahe liegen, dass er Jack töten wollte. Doch dann unterhält sich Jack mit Locke – ein Gespräch auf das ich gleich noch näher eingehen will. John rät Jack dem weißen Kaninchen zu folgen. Und was findet Jack? Er findet Wasser! Genau das, was am Strand knapp geworden ist, was Boone zum Sündenbock macht. Jack braucht Wasser für seine Leute und die Insel zeigt ihm, wo er es findet. Bens Magic Box lässt grüßen! Letztlich dreht sich die gesamte Strandhandlung von Claires Zusammenbruch über Lockes Aufbruch bis hin zu Jacks Rede am Ende um Wasser als Symbol für den Kampf ums Überleben.

Kommen wir nun zu Locke. Ein Satz von Locke belustigt mich schon seit geraumer Zeit: „No, crazy people don't know they're going crazy. They think they're getting sane.“ (Ausnahmsweise ist hier die deutsch Fassung fast noch etwas besser: „Verrückte wissen nicht, dass sie verrückt werden. Die denken, sie sehen endlich klar.“)– blanke Ironie ist hier noch untertrieben. In Bezug auf beide und ihre Beziehung zueinander passt dieser Satz wie die Faust aufs Auge. Beängstigend für uns als Lost- und (vermutlich auch) Locke-Fans wäre da doch die Vorstellung, dass Locke tatsächlich verrückt wird anstatt klar zu sehen. Hier prallen zum ersten Mal zwei Welten aufeinander: Glaube und Ratio. Letztlich schafft John es, Jack ein wenig in Richtung Glauben zu schupsen, indem er die Ratio zu Rate zieht. Und ein Satz, der natürlich nicht unerwähnt bleiben darf, auch wenn ich alles, was mir einfiel, dazu schon gestern gesagt habe: „But I've looked into the eye of this island and what I saw was beautiful.

Bevor ich nun zum Schluss komme, weise ich wie üblich noch auf ein paar Vorrausdeutungen oder auch Leitmotive hin, die man zumindest im Hinterkopf behalten sollte: Claire erwähnt im Gespräch mit Kate ihren Fable für Astrologie. Sawyer wirft Kate den Stern vom Marshall zu und sagt zu ihr: „Seeing as you're the new sheriff in town. Might as well make it official.

Das war es dann für heute. Bis zur nächsten Zusammenfassung könnte es Mittwoch werden, auch wenn ich hoffe, dass ich heute noch zum Gucken und Schreiben komme, glaube ich nicht so recht daran. Ist aber eine gute Gelegenheit für Spät- und Quereinsteiger.

Sonntag, 27. September 2009

Walkabout/Wildschweinjagd

Tag 5 – 26.9.2009:

Geguckt hab ich zwar gestern, aber mit dem Schreiben bin ich nicht fertig geworden. Für diese überaus gelungene Folge wollte ich mir etwas mehr Zeit nehmen und meine Gedanken noch mal ordnen, ehe ich alles niederschreibe. Vorab: Was ich an „Wildschweinjagd“ bzw. „Walkabout“ unheimlich genial finde, ist der dramaturgische Aufbau, der diese zu einer der wenigen Folgen macht, die man auch als „Stand-Alone“ gucken kann. Die ganze Episode kreist um Locke, seine Lähmung und seine Bestimmung. Trotzdem ist die Folge voll von kleinen Andeutungen und versteckten Hinweisen.

Kümmern wir uns aber zunächst einmal um Locke. Auch er erwacht breit ausgestreckt am Boden liegend – wie Jack. Er sieht zu seinem Fuß und bemerkt, dass er mit dem Zeh wackeln kann. Danach tut er etwas, das eigentlich belanglos wäre, mir aber im Nachhinein ein wichtiges Detail zu sein scheint: er sucht seinen linken Schuh und zieht ihn an. Warum könnte das wichtig sein? Schuhe bzw. deren Fehlen spielen bei „Lost“ eine gewisse Rolle: Der Schuh im Baum oder Strauch ganz zu Beginn der aller ersten Folge; Kate nimmt einem toten die Schuhe ab, um Jack begleiten zu können; Charlie versteckt sein Heroin im Schuh; Christians Schuhe spielen eine wichtige Rolle bei der Rückkehr der Oceanic 6 mit Flug 316 – auch hier stehen sie in besonderer Verbindung zu Locke; Eloise Hawking macht Desmond auf einen Mann mit roten Schuhen aufmerksam, der kurz darauf stirbt, um Desmond so die Kurskorrekturen des Universums zu erläutern.

Wir erleben Locke in dieser Folge zunächst als den Jäger, als eine pragmatische Person – völlig im Hier und Jetzt verhaftet. In den Rückblenden erahnt man aber bereits die spirituelle Seite von John Locke. Besonders interessant ist die Szene während seiner Mittagspause. Er spielt mit einem Arbeitskollegen Risiko – eines jener Spiele, die wir bei „Lost“ des öfteren sehen. Als Randy reinkommt, beginnt er Locke zu provozieren. Locke überlegt kurz und stößt dann einen Namen aus: „Norman Croucher!“ Fälschlicherweise attestiert John Croucher, mit zwei amputierten Beinen den Mount Everest bestiegen zu haben. Tatsache ist jedoch: Croucher bestieg den Cho Oyu. Wohingegen der Mount Everest von Mark Inglis bestiegen wurde, dem man in Folge von Erfrierungen, die er sich bei einer anderen Tour zugezogen hatte, die Beine amputiert hatte. Inglis stand ferner wegen unterlassener Hilfeleistung stark in der Kritik: Er hat David Sharp sterben lassen. Da sich all dies jedoch erst zwei Jahre nach der Erstausstrahlung von „Wildschweinjagd“ zutrug, fragt man sich jedoch, wieso John diesen Fehler machen konnte. Einen ersten Hinweis auf Johns Behinderung gibt uns diese Stelle dennoch, obgleich ich mal annehmen würde, dass man eher mit guten Prothesen klettern als mit einem Rollstuhl durch den Busch ziehen kann.

Es fallen noch weitere Schlüsselworte und –Sätze in dieser Szene: John sagt über den Walkabout, dieser sei seine Bestimmung und eine Reise der spirituellen Erneuerung. Uns allen ist mittlerweile klar, dass seine Bestimmung vor allem war, nach Australien zu kommen, um so auf der Insel zu landen. Auf der Insel erlangt er dann auch wirklich seine Erleuchtung, seine „spirituelle Erneuerung". Bemerkenswert ist aber auch, was John über Anführer sagt. Laut John ist es eine Tugend der Anführer Geduld aufzubringen. Wenn man mal so recht darüber nachdenkt, lässt einen das schon schmunzeln, denn auf der Insel ist John die personifizierte Ungeduld. „Ich will ein Anderer sein! Ich will zu Jacob! Ich will die Geheimnisse der Insel ergründen! Und zwar sofort!“ Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal...^^ Aber betrachten wir doch mal die anderen Anführer. Wie geduldig sind die?

· Jack ist rastlos, aber komischerweise meist sehr geduldig, wenn er als Anführer handelt. Vielleicht gleicht sich da etwas aus – wer weiß?

· Ben hat 35 Jahre darauf gewartet, Jacob sehen zu dürfen und wäre aus eigenem Antrieb auch nach 35 Jahren nicht zu ihm gegangen. Wenn das nicht geduldig ist, weiß ich auch nicht.

· Richard lebt ewig – der kann sich das Warten leisten.

· Charles ist stets harsch, fordernd, drängend – also ungeduldig.

· Gucken wir mal zur Dharma: Horace wirkt immer so als sei er als Kind in einen Topf mit Valium, Baldrian und Atosil gefallen und läuft daher außer Konkurrenz. Radzinsky hingegen scheint als Kind in eine Kaffeekanne geplumpst zu sein^^.

· Von Jacob und „Samuel“ wiederum findet man ein Bild im Lexikon, wenn man Geduld nachschlägt.

Meister Proper macht sich also mit seinen Messern, Kate und Michael auf die Jagd nach einem Wildschwein. Michael kann wieder die Klappe nicht halten und wird vom Wildschwein umgerannt. Kate will zurück, doch Locke zieht allein weiter – „Don’t tell me what I can’t do!“

Später dann trifft Locke im Dschungel erstmals auf das Monster. Oder etwa nicht? Gegenüber Michael streitet er es ab. Locke beschreibt die Erscheinung, die ihm hier begegnete keineswegs als schwarzen Rauch. Locke erwähnt gegenüber Eko, dass jenes Wesen, was er in „Wildschweinjagd“ sieht, aus hellem Licht war und wundeschön. Jack sagt er, er habe der Insel ins Auge gesehen und was er dort erblickte, war wundervoll. Ich vermute, dass es einen guten Grund gibt, warum uns dieses Geschöpf nie gezeigt wurde, denn es war tatsächlich weiß. Wer ganz genau hinsieht, kann einen hellen Schimmer auf den Blättern erkennen, als Kate und Michael von der Anhöhe aus das Monster beobachten, wie es sich auf John zu bewegt. Ich denke, dass „Samuel“ und das schwarze Rauchmonster ein und dasselbe Wesen sind. Die Manipulation Bens spricht ebenso dafür wie die Tatsache, dass das Monster genau wie „Samuel“ in der Lage ist, andere Gestalten anzunehmen. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass es nie eine Seuche gab, sondern „Samuel“ Rousseaus Leute tötete und deren Gestalt annahm – wie er/es auch bei Yemi und Locke tut. Wenn das stimmt, wäre es nur logisch, dass auch Jacob die Gestalt eines Rauchwesens annehmen kann, das dann folglich weiß wäre. „Samuel“ ist der Tod – er bringt Strafe, richtet über die Sünder und kann selbst die Gestalt Toter annehmen. Jacob hingegen symbolisiert das Leben, weshalb er Richard das Geschenk ewiger Jugend machen, Krebs und schwerste Verwundungen heilen und John nach dem Sturz und auch Ben im Tempel ins Leben zurückholen kann (deshalb darf er sich auch nicht erinnern). Ja, ich halte es für möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass Ben gestorben ist. Könnte nicht der Tod ihm die Unschuld genommen und seine geistige und emotionale Entwicklung beendet haben? Er lebt, bleibt aber stets das – wenn auch hochintelligente – verstörte Kind, das verzweifelt nach einer Vaterfigur sucht, die ihm Anerkennung entgegenbringt. Sein wir doch mal ehrlich: Ben ist ein emotionaler Krüppel und fordert den Besitz an Personen und Dingen mit der beharrlichen, trotzigen Gier eines Kleinkindes ein. Umso schwieriger ist es für ihn geduldig zu sein.

Eine alternative Theorie zu Jacob und „Samuel“, die sich an die von den zwei Monstern anschließt, wäre dann noch: Sie sind beide Teile des gleichen Wesens. Wer kann leugnen, dass das Wesen, was Montand angreift und auch als Unterstützung gegen Keamys Team gerufen wurde, irgendwie heller und weniger „rauchig“ aussah? Jacob und „Samuel“ zusammen waren das Rauchmonster, aus dem sich irgendwann zwei Wesen entwickelten, die nicht der selben Meinung darüber waren, wie man die Insel am besten schützt bzw. was zu ihrem Schutz getan werden muss. Zu Beginn gab es ein graues Monster, als welches sie etwa im Dharmadorf auch in Erscheinung treten. Dann spaltete sich dieses Wesen in zwei gegeneinander operierende Teile, die aber, weil sie zusammen gehören, einander nicht schaden können. Wäre denkbar, dass wir den Namen von Jacobs Feind nur deshalb nicht erfahren, weil er in gewisser Weise auch Jacob ist. Spinnt man diese Idee zuende wäre es sogar denkbar, dass „Samuel“ deshalb Lockes Gestalt annahm, weil er nur dadurch nicht auch sterben muss, wenn Jacob stirbt. Zugegeben diese etwas gewagte Theorie kann mit der schon etablierten Hypothese von einem Spiel mit festen Regeln nur schwerlich co-existieren, aber ich ziehe bei „Lost“ grundsätzlich erst einmal alles in Betracht.

Was genau sich zwischen Locke und dem Wesen im Dschungel abgespielt hat, wissen wir nicht. Wir können nur Vermutungen anstellen und da mir aber keine neuen Vermutungen einfallen, weise ich nur noch auf einen sehr interessanten Satz hin: Kate sagt zu Jack: „Locke’s gone!“ Kurz darauf erblickt Jack Christian und folgt ihm in die Büsche, aus denen wenig später John mit dem Wildschwein herausstolpert. Nach Staffel 5 macht einen das doch irgendwie misstrauisch ;-). Zumal es ja nicht das letzte mal war, dass Jack von Christian zu John geführt wird.

Jack selbst spielt in dieser Episode erstmals eine unterordnete Rolle. In der zweite Szene (das ist die mit dem Wildschwein im Flugzeug) glaubt er zunächst es sei Sawyer, der im Wrack mal wieder Leichen beklaut. Doch dieser ist „Right behind you, JACKass!“ (ein schönes Wortspiel, das leider nicht ins Deutsche transportiert werden kann). Bereits hier wird aber Sawyers spezielle Beziehung zu Wildschweinen angedeutet, denn er ist es auch, der das Tier aufschreckt. Wer bekommt natürlich als einziger die Hauer des Wildschweins zu spüren und wird gerade noch so von Jack gerettet? Klar: Charlie!

Infolge dieser Ereignisse diskutieren Jack, Sayid und Kate darüber, was nun mit den Leichen geschehen soll. Jack ist wie immer pragmatisch und setzt sich damit gegen Sayid, der mal wieder den Moralapostel rauskehren muss, durch. Überhaupt wird in dieser Folge ausgesprochen viel diskutiert. Kate und Sayid unterhalten sich über die Dringlichkeit, die Insel zu verlassen. Locke diskutiert mit jedem zweiten, dem er über den Weg läuft. Sawyer und Hurley prügeln sich sogar um ein paar Erdnüsse. Das Überleben verdrängt langsam das Warten auf Rettung als Hauptsorge der Losties. Während Locke auf Jagd ist, manipuliert Shannon Charlie dazu, ihr einen Fisch zu fangen. Sun sehen wir außerdem erstmals Kräuter sammeln und diese als Zahnbürstenersatz verwenden.

Zu guter letzt will ich noch auf ein paar interessante Details und Vorausdeutungen hinweisen, die mir aufgefallen sind:

· Sawyer nennt den Dschungel „Magic Forest“

· Michael spricht erneut mit Sun und bittet sie: „Keep an EYE on my boy!“

· Jack und Claire sprechen das erste Mal miteinander und ausgerechnet über die Trauerfeier, wo Jack doch auf der Trauerfeier ihres gemeinsamen Vaters erfahren wird, dass sie seine Halbschwester ist/war. Jack sagt zu ihr: „It’s not my thing!“

· Claire findet den Brief von Sayid, in dem auch das Foto von Nadia steckt. Er glaubte, er hätte es verloren („...LOST this...“). Man sollte auch nicht vergessen: Er ist nicht der einzige, der einen wichtigen Brief bei sich trug...

· Sawyer zeigt bereits hier, dass er auch nett sein kann. Er gibt Claire etwas, das er gefunden hat.

· Jack spricht mit Rose, die einsam am Strand sitzt. Sie ist sich sicher, dass Bernard noch lebt. Auch nach fünf Staffeln wissen wir nicht, warum sie sich dessen so sicher ist.

· Später, während die anderen bei der Trauerfeier sind, sitzt auch Jack allein am Strand. Sowohl jJck als auch Rose erinnern in diesen Szenen sehr an Locke, den man oft einsam am Strand sitzen und aufs Meer blicken sieht.

· Charlie geht zwar zur Trauerfeier, aber erst verspätet. Zuvor nutzt er die Situation, um hinter einem Wrackteil Heroin zu konsumieren.


Das war es dann erst einmal. Gut möglich, dass ihr auch auf die nächste Zusammenfassung einen Tag warten müsst. Hab recht viel zu tun und bin immer noch ziemlich kränklich. Was ich heute auf jeden Fall noch mache ist: WÄHLEN GEHEN! Für alle unentschlossenen: Wahl-O-Mat