Adrift:
Was heißt „adrift“ auf Deutsch?, werden sich die „Übersetzer“ gedacht haben. Ach, keinen Bock nachzugucken. Wir schreiben einfach „Treibholz“. Ich kann für die deutschen Übersetzer echt hoffen, dass die mir nicht irgendwann mal im Dunkeln begegnen. Einen Teil dieser Folge kennen wir bereits aus der vorigen, obgleich ein Großteil des Handlungsstrangs um die Station dieses Mal aus der Perspektive von John und Kate gezeigt wird. Nachdem Kate also von dem Lichtkegel gefressen wurde und John das Innere der Station erreicht hat, macht er etwas sehr löbliches: er zieht erst mal die Schuhe aus. Das gehört sich auch so, wenn man schon unangemeldet auf Besuch kommt. An einem Sicherungskasten entdeckt John das Dharma-Logo vom Schwan und betrachtet es einen Moment. Kurz drauf steht Locke dann einem schwerbewaffneten Schotten gegenüber, der ihm die alles entscheidende Frage stellt: „Where’s Kate?“ Nein, natürlich nicht und er ruft auch nicht: „Walt!?“, sondern er fragt John selbstverständlich: „Are you Him?“ („Bist du Er?“ – oder geringfügig freier übersetzt: „Warte ich auf dich?“ – hoffentlich begegnet mir mal einer der Übersetzer im Dunkeln). Komisch nicht wahr? Dieses „Him“/„He“ bzw. „Ihm“/„Er“ taucht an verschiedenen Stellen auf und zumeist glauben die Betreffenden wohl von Jacob zu sprechen. In einigen wenigen Fällen ist allerdings wohl eher Ben gemeint oder man lässt es bewusst offen. Nun weißt aber einiges daraufhin, dass vieles, von dem die Anderen glaubten, es käme von Jacob, auch von „Samuel“ kommen könnte und dann bekäme „Er“ doch irgendwie eine etwas andere Konnotation* als man bisher annahm (*da ich das Wort „Konnotation“ bestimmt nicht zum letzten Mal gebraucht habe und absolut nicht erwarten kann, dass es allen von euch geläufig ist, einmal die umfangreiche Erklärung: „Konnotation“ bedeutet so viel wie Begleitbedeutung eines Wortes oder Begriffs, abhängig von Sinnzusammenhang, Herkunft und Einstellung von Sender und Empfänger – im Gegensatz zur Denotation, der „Kernbedeutung“; mehrere Begriffe mit der selben Denotation können also unterschiedliche Konnotationen haben; wenn man Jack etwa als Arzt, Mediziner, Quacksalber, Kurpfuscher, Halbgott in Weiß bezeichnet, haben all diese Wörter die gleiche Denotation, aber offenkundig andere Konnotationen. Klar soweit? Bei der Länge der Erklärung, wisst ihr jetzt auch, warum ich das Wort „Konnotation“ „Begleitbedeutung“ vorziehe, da sie zwar die gleiche Denotation haben, aber die Konnotation von „Begleitbedeutung“ über die von „Konnotation“ hinausgeht. Was für ein wirres Gerede...). Wo war ich? Ach, bei „Ihm“. Auch wenn es natürlich für Desmond wenig Sinn machen würde, diese Fragen zu stellen, könnte man „Are you Him?“ im globaleren Zusammenhang auch umformen zu: „Are you Jacob?“ ODER „Are you ‚Samuel’?“ Und da wird es doch interessant, wenn Locke auch noch antwortet: „Yes. Yes, I am!“ John, du bist also „Samuel“? Hättest du uns das doch nur mal eher gesagt! Da hätten wir uns in Staffel Fünf einiges ersparen können ;-).
Leider wird John von Desmond rasch entlarvt, denn er weiß nun einmal nicht, worüber sich Schneemänner so unterhalten. Als John dann aber erzählt, dass sie vor 44 Tagen mit einem Flugzeug abgestürzt wären, scheint es Desmond erstmals zu dämmern und da er ja immer brav seinen Knastkalender mit den Strichen geführt hat, ahnt er vielleicht hier zum ersten Mal, dass er am Absturz nicht so ganz unschuldig war. Obgleich John über sich und Kate die Wahrheit sagt, manipuliert er Desmond dahingehend, Kate von John fesseln zu lassen, damit John selbst mit Des allein ist. Locke steckt Kate ein Messer zu und sperrt sie in den Vorratsraum. Warum sie aus diesem Gefängnis, das wie kein Ort auf der Insel dem Schlaraffenland gleicht, meint ausbrechen zu müssen, weiß ich nicht, aber sie hat halt ein Problem mit jeder Form von Freiheitsentzug. Bevor sie aber Kisten stapelt und – schön brav sämtliche Ausbruchsklischees bedienend – durch den Lüftungsschacht krabbelt, gönnt sie sich noch schnell einen Apollo-Schokoriegel. Überhaupt enthält diese Folge ungewohnt viele Klischees. Auch die Nummer mit dem zugesteckten Messer und Kates Houdini-reife Befreiungstechnik hätte ebenso gut vom Autor eines ZDF-Fernsehfilms mit dem Titel „Flucht aus Afrika“ oder „Der Inseldoktor“ sein können, der dann in Plettenberg oder Oer-Erkenschwick gedreht wird und in den man anschließend ein paar nette Archivaufnahmen reinschneidet damit keiner merkt, dass man kein Geld für einen Dreh in Afrika hatte.
Als John Desmond die wichtigsten Fakten mitteilt, gibt es zwei Dinge, die Desmond sehr verwundern: Die Welt ist noch da! UND Keiner der Losties ist krank! Desmond hat eindeutig zu lange ohne richtigen Schlaf in einem Bunker unter der Erde gelebt. Bei dem piept’s doch! Und tatsächlich: man kann das Piepen sogar hören. Da Desmond den Computer nicht bedienen kann, ohne die Waffe abzulegen und überaus paranoid ist, fordert er John auf, die Zahlen einzutippen und so drückt John zum ersten Mal die Taste – ohne zu wissen, was es damit überhaupt auf sich hat.
Nun ist aber auch der letzte Gast zur Party erschienen und hat eine Knarre mitgebracht (ja Russischroulette erfreut sich als Partyspiel immer größerer Beleibtheit – allerdings, Jack, funktioniert das nur mit einem Trommelrevolver). Desmond legt für die Party erst mal etwas Musik auf, um Jack zu verwirren und alle anderen Geräusche (so auch Kates Hilferufe) zu übertönen. Das, was dann folgt, kennen wir schon. Interessant ist nur noch Desmonds Schuss an die Decke, der Kate beinahe erwischt hätte. Wobei mir hier bei dem Gedanken an das Was-Wäre-Wenn-Szenario immer die Story mit dem Kamin aus „Gremlins“ in den Sinn kommt, in der Kate (nicht unsere Kate, sondern die aus „Gremlins“) erzählt, dass ihr Vater als Weihnachtsmann im Kamin stecken geblieben ist.
Kommen wir nun zu Michael und der Hauptstory dieser Folge. Die Rückblende handeln wir danach ab, obgleich ja beide Zeitebenen das gleiche Thema behandeln: Michael wird Walt weggenommen. Michael ist bei den meisten Fans nicht gerade ein Sympathieträger und ich mag ihn auch nur aus drei Gründen ein wenig: er hat Walt mehr als einmal verloren, was ihn durchaus bedauernswert macht, er hat meinen Lieblingscharakter (Ben) befreit und im gleichen Zug meinen Hasscharakter (Ana-Lucia) erschossen. Dass viele Michael nicht mögen, erklärt sich wohl nicht zuletzt in dieser Episode, denn sein wir mal ehrlich: er sieht nur im vergleich zu Susan sympathisch aus, weil die ein verlogenes Miststück ist. Doch Sawyer die ganze Zeit anzubluffen, nachdem der ihm das Leben gerettet hat, ist echt armselig. James hätte sich eine Menge erspart, wenn er Michael einfach hätte ersaufen lassen. Wiedereinmal zeigt sich: James ist im Grunde seines Herzens ein guter Kerl, denn er rettet Michael, sorgt sich um Jin und behält die Nerven weit des gehend, obwohl ihm Michael ja so einiges an den Kopf wirft. Und dabei hat Sawyer meistens recht – unter anderem auch damit, dass es weit mehr Sinn macht nach Jin zu rufen, als nach Walt. Aber überhaupt werden in dieser Folge sehr viele Namen gerufen, weil irgendwer irgendwen sucht: Michael ruft nach Walt (sehr oft), Sawyer nach Jin und „Mike“, Locke und Jack rufen nach Kate und die ruft ihrerseits nach Jack, der wiederum nicht nur nach Kate, sondern auch nach Locke ruft.
In dieses ganze Rumgebrülle kommt dann mal wieder eine recht klischeehafte Nebenhandlung: „Hai-Alarm auf Eyeland!“ Leider ohne Ralf Möller und Katy Karrenbauer (übrigens bewiesen hier die Autoren des Original-Hai-Alarms etwas Selbstironie, denn die Figur von Katy Karrenbauer hieß Dr. Verena Brandauer – nicht Breitenbach, denn das wäre zu offensichtlich; und nein, ich habe den Film nicht gesehen, sondern es gerade auf Wikipedia gelesen, als ich nachgucken wollte, ob „Hai-Alarm“ in diesem Fall mit Bindestrich geschrieben wird oder ohne) dafür aber mit James Ford und Michael Dawson. Die ganze Story um den Hai wimmelt leider nur so vor Fehlern und kann auch durch die Anleihen an „Der Weiße Hai“ nicht gerettet werden. Wo liegen die Fehler? Zunächst einmal in der Grundannahme ein Hai würde sich für Menschen als Futter nur ansatzweise interessieren. Von den knapp 400 bekannten Haiarten sind nur 25 überhaupt für Menschen gefährlich, doch wirklich auf der Speisekarte stehen wir auch bei denen nicht, denn wir Menschen schmecken Haien etwa so gut, wie uns ’ne alte Socke mit Majonäse. In der Nahaufnahme wird durch den starken Kontrast zwischen dem sehr dunklen Rücken und dem weißen Bauch, aber auch durch die eher platte Schnauze (die meisten Haie sind weitaus stromlinienförmiger und haben daher einen viel spitzer zulaufenden Kopf) klar: es handelt sich um einen Weißen Hai, wenn auch um ein außergewöhnlich kleines Exemplar mit Dharma-Tattoo an der Schwanzflosse. Zu Beginn verhält sich der Hai auch recht realistisch. Angelockt von Sawyers Blut nimmt er das Floß bzw. das, was davon übrig ist, unter die Lupe, indem er von unten dagegen stößt. Doch der Angriff des Haies ist – sorry, liebe Lost-Autoren – totaler Stuss. Das Ganze erinnert zwar schön an den Showdown von „Der Weiße Hai“, aber selbst da war es noch ein Eckchen glaubwürdiger. Weiße Haie jagen Beutetiere und auch Eindringlinge an der Wasseroberfläche nämlich mit dem Offenen-Mund-Hieb, d.h. sie nähern sich dem Opfer (egal ob Beute oder Eindringling) von unten und schießen dann mit geöffnetem Maul nach oben aus dem Wasser. Das Opfer hat keine Chance, denn ein Weißer Hai schafft Geschwindigkeiten von über 80km/h. Aber was macht der Lost-Hai Ezra James Sharkington (und ja der heißt tatsächlich so)? Er taucht vor Michaels Nase auf und nähert sich direkt unterhalb der Wasseroberfläche Sawyer von hinten? Die Nummer mit der Flosse, die ausm Wasser guckt, ist Seemannsgarn, der von Verwechslungen mit Orcas und Delfinen herrührt, die als Lungenatmer öfters dicht an der Oberfläche entlang tauchen. Kein Hai würde im offenen Meer so schwimmen, schon gar nicht, wenn er wie hier sein Beutetier dadurch warnen würde. Und über zwei ungezielte Schüsse aus ’ner 9mm würde sich ein Hai von der Größe auch kaputtlachen und sich vor allem im Blutrausch nicht davon abbringen lassen, sein Ziel zu verfolgen. Aber er ist laut „Lost: Via Domus“ sogar tot, hier der Bildbeweis. Langer Rede kurzer Sinn: Bei einem echten Hai wäre Sawyer in dem Moment Fischfutter gewesen, wo er anfing zu bluten. Was an dem Hai sonst noch verwunderlich wäre, wenn man nicht wüsste, dass es ein missglücktes EasterEgg war, wäre halt das Dharma-Logo, auf dem – statt dem zu erwartenden Hydra-Logo – eine weiße Linie (die geht übrigens, wenn man mal genau hinsieht über den schwarzen Kreis in der Mitte hinaus) zu sehen ist. Doch darauf sollte man wohl wirklich nicht zu viel geben. Es gibt so viele Dharma-Logos von irgendwelchen Unterabteilungen wie Schule, Cafeteria, Motor Pool, U-Boot oder Sicherheitsdienst.
Was passiert auf hoher See sonst noch bemerkenswertes? Zum Beispiel stellt sich die Frage wo die drei Kugeln in der Waffe herkommen, nachdem Sawyer sie alle schön ins Meer geschmissen hat und auch, warum er denen, die bereits untergegangen sind hinterher fischt, anstatt sich die zu schnappen, die noch aufm Floß rumfliegen? Und wie hat der die Kugeln pitschepatschenass wie er war überhaupt trocken bekommen? Hochleistungsföhn im Handgepäck?
James stellt dann noch fest, dass das Boot, mit dem Walt entführt wurde, von der Insel kam. Was ich mich dann noch frage: Wenn die ganzen Floßteile und somit auch Michael und James in der gleichen Strömung hängen und so zurück zur Insel getrieben werden, warum ist Jin dann soviel eher wieder auf der Insel? Denn er muss schon ein Weilchen an Land gewesen sein, als die anderen beiden ankommen und James entweder sarkastisch oder prophetisch meint: „We're home.“ („Wir sind zuhause.“)
Michael macht sich nicht gerade beleibt, als er Sawyer erst von „seinem Floß“ schmeißt und anschließend noch James’ klein haut. Deshalb gehen wir mal zur Rückblende über, denn da ist einem Michael eindeutig sympathischer. In den Rückblenden will Michael das verhindern, was auf der Insel nun erneut passiert ist: er möchte jemanden (Susan/die Anderen) daran hindern, ihm Walt wegzunehmen. Verarmt, verzweifelt und aufgebracht wie er ist, zieht Michael also mit einem drittklassigen Anwalt gegen Susan zu Felde, um die Adoption durch Brian zu verhindern, wobei ich mich dann doch wundere: Wie soll Susan es bitte schaffen, dass das Gericht ihm die Vaterschaft aberkennt? Sorgerechtsentzug, das Aufenthaltsbestimmungsrecht Susan allein zusprechen etc. mag ja alles gehen, doch Michael seine Rechte als Vater aberkennen? Wie soll das gehen? Er ist Walts Vater – zumindest rechtlich (ob er es auch wirklich biologisch ist, sie mal dahingestellt). Selbst Eltern, denen das Jugendamt das Sorgerecht entzieht, bleiben trotzdem die Eltern.
Bei der Anhörung selbst bekommt man doch echt Lust Susan und ihre Anwältin zu erdrosseln – hinterhältige, falsche Biester. Susans Fehler und Verstöße werden einfach Michael angekreidet, weil er nicht eher geklagt hat. Das ist einfach nur noch unmenschlich, bösartig. Susan hat Walt nach Amsterdam mitgenommen: da hätte Michael sofort protestieren und rechtliche Schritte einleiten müssen. Deshalb ist es laut Susans Rechtsverdreherin auch seine eigene Schuld, dass Michael so gut wie nichts von Walt weiß und nicht Susans, die jeglichen Kontakt unterband. Michael hat darauf vertraut, dass Susan trotz allem ehrlich zu ihm ist und er wirklich nichts hätte tun können: dass Michael nichts getan hat, zeigt angeblich, dass er kein Interesse an Walt hat. Das geht immer so weiter und als Susan merkt, dass sie trotzdem verlieren könnte, manipuliert sie Michael und setzt Walts Zukunft dabei auch noch als Druckmittel ein.
Als Michael Walt zum vorerst letzten Mal sieht, schenkt er ihm etwas sehr bedeutungsträchtiges: einen Stoff-Eisbär. Warum eigentlich nicht gleich eine Jacob-Actionfigur? Außerdem gibt Michael Walt noch etwas mit auf den Weg: „I just want you to know that – no matter where you go – that I... that your daddy – yeah, your daddy – he loves you very, very much. And I always will. Always, okay?“ („Ich will nur, dass du weißt – ganz egal wo auch immer du hingehst – dass ich... dass dein Papa – ja, dein Papa – er liebt dich ganz, ganz doll und das wird er auch immer. Immer, okay?!“) Eine Frage bleibt auch hier offen: Hat Susan Walt jemals daran erinnert, dass der Bär von Michael ist? Oder anders gefragt: Hat es einen tieferen Sinn, dass sie Walt so unbedingt von Michael fernhalten will? Wenn Walt tatsächlich besonders ist und Susan das wusste und auch warum, könnte dieses ganze Theater am Ende doch einem höheren Zweck gedient haben. Denn zwischen all dieser kalten, berechnenden Haltung, scheint zwischenzeitlich immer mal wieder Mitleid für Michael und auch Reue durchzublitzen.
Ein letztes Detail, das ich noch ansprechen will, ehe ich die Akte „Adrift“ schließe: Claire entdeckt bei Charlie die Madonnenstatue. Wie gesagt, ich wollt’s nur ansprechen. Zu analysieren gibt es da nicht wirklich was.
Die nächste Review gibt es morgen oder Montag. Euch allen einen schönen Sonntag, genießt den freien Tag!