Lost Halloween Special
Heute ist es endlich soweit: Halloween. Und ich dachte mir warum nicht zur Abwechslung mal ein kleines Halloween-Special – zum einen weil ich mal etwas Zerstreuung von den Reviews brauchte und zum anderen weil ich sowieso schon seit Wochen überlege, was ich an Halloween, Weihnachten und Silvester für das Blog machen will. Auch wenn es eigentlich überflüssig zu sagen ist: Dieses kleine Special ist auch als Fan-Fiction absolut nicht ernst zu nehmen, ganz im Gegenteil: es ist viel mehr eine Parodie oder gar ein Pastiche und daher im klassischen „Lost“-Stil mit Rückblenden, Querverweisen, Enthüllungen und allem was sonst so dazu gehört gehalten. Deshalb werden zwangsläufig auch ernste Töne angeschlagen, aber der Humor sollte am Ende doch nicht zu kurz kommen. Also, viel Spaß:
Bens Halloween
„Findest du es nicht etwas merkwürdig ein solches Brauchtum plötzlich wiederzubeleben, Dad?“, fragte Alex und sah Ben aufmüpfig an, wie sie es immer tat, wenn sie ihren Vater aus der Reserve locken wollte. Ben war wie immer sichtlich unbeeindruckt. Er saß ihr gegenüber am Esstisch und sah für seine Antwort nicht einmal von dem Roman auf, in dem er las.
„Ich habe dir bereits erklärt, dass wir es vor allem wegen Zach und Emma machen“, erwiderte er. „Es ist schwer genug für sie. Als du jünger warst bis du auch noch mit Karl um die Häuser gezogen.“
„Ja, um alle siebzehn“, entgegnete Alex schnippisch. „Ich hatte echt ’ne tolle Kindheit und jede Menge Freunde!“
„Ich garantiere dir“, setzte Ben an, machte eine gezielte Kunstpause, in der er den Stephen-King-Roman beiseite legte und die Brille abnahm, „deine Kindheit war um ein vielfaches besser als meine. Wenn mein Vater... .“
„Glaub bloß nicht, du wärst ein Bilderbuchvater gewesen, Dad“, zischte Alex.
„Wenn mein Vater mir Zuneigung vermitteln wollte, hat er die Bierdosen ausgetrunken, ehe er damit nach mir geworfen hat“, fuhr Ben fort. „Mein Vater war ständig besoffen, hat mich geschlagen und mir die Schuld am Tod deiner Großmutter gegeben. Selbst als man mich nach dem Vorfall an der Schwanbaustelle schwer verwundet im Dschungel fand, hatte dein Großvater nichts besseres zu tun, als mich, kaum dass es mir wieder besser ging, wegen irgendwelcher gestohlenen Schlüssel grün und blau zu schlagen.“
„Das hast du mir nie erzählt“, sagte Alex.
„Warum auch?“, fragte Ben. „Er ist seit zwölf Jahren tot.“ Ben schwieg und sah gedankenverloren zum Fenster, durch das er vage eine Kürbislaterne vor Juliets Haus ausmachen konnte. Ben sagte nicht, dass Roger der einzige Mensch war, den er wohl auch ohne Befehl von Jacob oder Charles früher oder später umgebracht hätte. Alex zweifelte sowieso schon an ihm, warum sollte er ihr diesen Abgrund seiner Seele offenbaren.
31.12.1976:
„Du gehst also als Transe im Bademantel?“, fragte Roger und trank einen weiteren Schluck Bier. Bens Vater lag quer über der Couch und sah seinen Sohn mit einer Mischung aus Belustigung und Abscheu an.
„Das ist Norman Bates, Dad“, erwiderte Ben. „Bei den gegebenen Möglichkeiten muss man sich schon was einfallen lassen.“
„Immer noch besser als letztes Jahr“, sagte Roger und drehte sich gelangweilt dem Fernseher zu. Ben überlegte kurz, was er letztes Jahr getragen hatte, während er in der Küche nach einem großen Messer suchte. Dann fiel es ihm ein und er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ihm das Gesicht seines Vaters wieder einfiel, als er mit einem Eyeliner in der Hand erklärt hatte, er ginge als Richard Alpert. Annie hatte sich über diesen Einfall köstlich amüsiert. „Pass auf, dass Radzinsky dich nicht erschießt“, hatte sie gesagt. „’Er ist einer der Feinde! Erschießt ihn! Erschießt ihn!’ Ich glaub irgendwann erwischt der sich mit seiner Schrotflinte noch mal selbst, so schießwütig wie er ist.“
Roger war aufgestanden, um noch ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Ben hielt jetzt ein großes, glänzendes Fleischermesser in der Hand.
„Komm bloß nicht auf dumme Gedanken“, meinte Roger, als er das Messer in Bens Hand sah. „Nachher bringst du mir noch die ganze Initiative um... wobei das eigentlich ein Dienst an der Menschheit wäre, diese Pfeifen allesamt zu vergasen.“ Den letzten Satz sprach er schon in den Kühlschrank, in den er auf der Suche nach Bier so tief hineinkroch, dass Ben die Hoffnung hegte, er würde drin festfrieren.
Es klopfte an der Tür.
„Es hat geklopft, Dad.“
„Ich hab’s gehört, Alex“, antwortete Ben und sah noch immer aus dem Fenster, einen Arm auf dem Tisch abgestützt, die Hand am Kinn.
„Willst du nicht aufmachen?“, hakte Alex ungeduldig nach.
„Doch, doch“, murmelte Ben und setzte seine Brille wieder auf. „Aber sie sollen ja nicht denken, man würde auf sie warten. Würde da nicht der Reiz von Halloween verloren gehen?“
„Wie du meinst“, erwiderte Alex und stand auf. „Aber ich kratz die Eier morgen nicht von der Fensterscheibe!“
„Warum? Hast du was gegen kostenloses Spiegelei?“, rief Ben ihr hinterher, als sie in ihrem Zimmer verschwand, und ging zur Tür. Draußen standen Zach, Emma und Karl.
„Alex ist in ihrem Zimmer“, sagte er an Karl gewand und sah ihm misstrauisch hinterher, als er an Ben vorbei ins Haus ging. „Und nun zu euch beiden.“
Zach und Emma sahen zu Ben auf. Er bemerkte, dass sie offenbar eingeschüchtert waren, vielleicht sogar Angst vor ihm hatten. Er hockte sich hin. Emma hatte einen spitzen, schwarzen Hut auf dem Kopf und war mit dem grauen Pullover, der roten Krawatte und dem überhaupt so schulmädchenhaften Outfit unschwer als irgendeine Figur aus Harry Potter zu erkennen. Ben wusste, dass die Bücher bei Alex im Schrank standen, konnte sich aber seit Jahren nicht überwinden, eines der Bücher zu lesen. Er würde ja nicht einmal offen zugeben Stephen-King-Fan zu sein. Zach trug zerschlissene Kleidung und hatte sich einen buschigen, zerrupften Bart angeklebt.
„Ich höre?“, sagte Ben. Die Kinder schwiegen verschüchtert. „Also, wer Lord Volde-was-auch-immer bekämpft, wird doch wohl vor mir keine Angst haben.“
„Es heißt ‚Voldemort’, aber den Namen darf man nicht sagen“, verkündete Emma.
„Wieso das nicht?“, fragte Ben.
„Eine Schande, dass jemand, der Harry Potters Brille trägt, das nicht weiß“, stichelte Alex und quetschte sich mit Karl im Schlepptau an ihrem Vater, der augenblicklich kerzengerade stand, vorbei.
„Wo wollt ihr hin?“, fragte Ben missmutig.
„Zu Karl nachhause“, erwiderte Alex. „Du hast ja keinen DVD-Player.“
„Wie? Wo? Was? Wozu?“, stammelte Ben, während Alex ihm genervt eine DVD-Hülle vor die Nase hielt.
„Hat Tom von seiner letzten Festland-Tour mitgebracht“, erklärte Karl. „Genau das richtige für den Halloween-Abend, Mr. Linus.“
Ben nahm die DVD aus Alex Hand und wusste mit einem Blick auf die Altersempfehlung, dass es zwar nichts brächte mit seiner Tochter darüber einen Streit vom Zaun zu brechen, aber auch dass er ein ernstes Wörtchen mit Tom sprechen musste.
„’Saw’?“, stieß er dann aus. „Wie ‚Säge’ oder wie ‚Sehen’? Immer diese nichtssagenden Titel, die nur aus einem englischen Wort bestehen. Da weiß keiner, was einen erwartet. Und wer zur Hölle ist Michael Emerson?“
„Ich würde mal tippen ein Schauspieler, wenn der Name dahinten drauf steht“, erwiderte Alex und riss ihrem Vater die DVD aus der Hand. „Und da es da um einen Killer mit Fable für Psychospielchen geht, ist es auch nicht viel anders als ein Spieleabend mit dir, Dad.“
„Ich lach mich tot“, entgegnete Ben.
„Ich wünschte dem wär’ so“, meinte Alex und zog mit Karl von dannen.
Ben seufzte und wandte sich wieder den Kindern zu: „Also? Was kann ich für... .“ Er überlegte und riet dann ins Blaue: „Was kann ich für Hermine Gra... .“
„Ich bin Ginny“, protestierte Emma.
„Machen Sie sich nichts draus, das hat keiner erkannt“, sagte Zach. „Sie hat nichts gefunden, um die Haare rot zu färben. Tom meinte, bei ihrem Namen wäre Hermine auch passender gewesen.“
Ben dachte kurz nach und beschloss dann, nicht nachzuhaken. Stattdessen wandte er sich an Zach, der mit seinem angeklebten, buschigen Bart, den langen Haaren und der zerschlissenen Kleidung aussah wie irgendein x-beliebiger Hinterwäldler: „Also, wenn Ginny und du, kleiner Landstreicher... .“
„Ich bin kein Landstreicher“, stieß Zach empört aus.
„Sondern?“, fragte Ben.
„Ich bin Jacob.“
„Woher willst du wissen, dass Jacob so aussieht?“, wollte Ben wissen.
„Etwa nicht?“, hakte Zach nach. „Oder wissen Sie etwa nicht, wie Er aussieht?“
„Doch, doch natürlich“, log Ben. „Du hast ihn schon ganz gut getroffen. Er wohnt ja einsam im Wald.“
„Siehst du, hab ich’s doch gewusst“, sagte Zach zu seiner Schwester und streckte ihr die Zunge raus. „Und du dachtest Jacob sei ein rasierter Jesus-Verschnitt mit weißem Hemd und Flip-Flops!“
„Aber warum sollte der mächtigste Mann auf diesem ollen Eiland aussehen wie eine Mischung aus Hinterwäldler und Werwolf?“, erwiderte Emma hitzig.
„Warum denn nicht?“, fauchte Zach. „Wahrhaft große Männer können sich das leisten!“
„Euch muss schon klar sein, dass es ohne Halloween-Parole keine Süßigkeiten gibt“, warf Ben ein. „Also? Ich höre?“
„Wenn ich noch einen Apollo-Schokoriegel bekomme, benutz ich das Messer doch noch“, sagte Ben mit einem Blick in die Tasche. Er und Annie waren jetzt etwa 42 Minuten unterwegs und an den acht Häusern, die sie bislang besucht hatten, hatten sie fast nur Schokoriegel der Apollo-Candy-Company bekommen.
„Lass das bloß nicht LaFleur hören“, tadelte ihn Annie.
„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte Ben und deutete auf eine hochgewachsene Gestalt im Vampirkostüm, die auf sie zukam.
„Es könnte sein, dass dieser ‚Teufel’ dir früher oder später das Blut aussaugt, Harry Potter“, sagte James und öffnete den Mund, damit man die angeklebten Vampirzähne sehen konnte.
„Das ist Norman Bates“, stöhnte Ben und dachte: Wer um alles in der Welt ist ‚Harry Potter’?
„Wieso überrascht mich das nicht?“, erwiderte James.
„Was überrascht Sie nicht, Mr. LaFleur?“, wollte Annie wissen.
„Dass unser kleiner Mr. Spock sich als durchgeknallter Psycho-Killer verkleidet“, antwortete James, woraufhin Ben genervt die Augen verdrehte. „Er hat so was verschlagenes.“
„Glauben Sie also, dass ich Karriere als Trickbetrüger oder Dharma-Sicherheitschef mache?“, konterte Ben. „Denn andere Berufe, bei denen man verschlagen sein muss, fallen mir nicht ein!“
„Man muss ja nicht von Berufswegen verschlagen sein, Sméagol“, meinte James. „Ganz abgesehen davon könntest du auch Politiker werden oder Jurist. Oder aber du lernst was normales und verarscht die Leute dann in deiner Freizeit.“
„Bringen Sie ihn nicht auf dumme Gedanken“, warnte Annie. „Am Ende setzt er das noch in die Tat um.“
„Schwer auf dieser Insel“ erwiderte Ben. „Das schlimmste was ich machen könnte, ohne dass Mr. LaFleur es mitbekommt, wäre meinem Vater die Generalschlüssel zu klauen!“
„James!“, rief Juliet von weitem und kam dann näher. „Was machst du denn hier? Ich warte schon vier Minuten auf dich. Oh, Hallo, Ben! Annie!“
„Guten Abend, Miss Burke“, trällerten die beiden müde, als würden sie ihre Lehrerin in der Schule begrüßen.
„James, kommst du?“
„Richard!“
Er erkannte die Stimme und blieb abrupt stehen und drehte sich um, obwohl er eigentlich wichtigeres zu tun hatte.
„Was ist, Juliet?“, fragte Richard und trat an Juliets Haus heran.
„Hast du einen Moment Zeit?“ , erwiderte Juliet und machte klar, dass Richard unmöglich mit „Nein“ antworten konnte, weshalb er auch bis vors Haus kam und „Na, klar“ sagte.
„Lange nicht gesehen“, meinte Juliet. „Du hast dich gar nicht verändert.“
„Den Witz hat Ben schon vor 23 Jahren das erste Mal gemacht“, entgegnete Richard und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
„Du warst also bei meiner Schwester?“, wollte Juliet wissen und sah Richard eindringlich an.
„Ja“, bestätigte dieser und steckte einen Zettel in die Hosentasche, den er zuvor in der Hand versteckt hatte.
„Und sie ist wirklich gesund?“, hakte Juliet weiter nach.
„Ja, Jacob hat sie geheilt“, erklärte Richard.
„Wäre es möglich, dass auch von Ihm persönlich zu hören?“, fragte Juliet.
„Du weißt ganz genau, dass das nicht geht“, erwiderte Richard und sah zu Boden.
„Du kommst gerade von Ihm, nicht wahr?“, vermutete Juliet und fügte, als Richard leicht nickte, hinzu: „Neue Anweisungen für Ben?“
„Das wirst du Ben fragen müssen“, wich Richard aus.
„Warum ist er so besessen davon?“, fragte Juliet. „Von mir? Von dieser ganzen Geschichte mit Schwangerschaftskompliaktionen? Warum heilt Jacob sie nicht selbst, wenn es ihm so wichtig ist?“
„Jacob will dich nicht deswegen hier behalten“, gestand Richard. „Jacob hat dich erwählt, damit du einen ganz bestimmten Menschen rettest. Das mit den Babys ist mehr Bens ganz persönliche Besessenheit.“
„Aber wieso?“, stieß Juliet aus.
„Wegen seiner Tochter, natürlich“, erwiderte Richard.
„Wieso? Ist Alex schwanger?“, fragte Juliet ein wenig belustigt.
„Nein“, dementierte Richard und konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Das war vor Alex. Vor etwa 16 Jahren starb das erste mal eine Frau auf dieser Insel am Ende der Schwangerschaft. Das war vier Wochen nach Karls Geburt und etwa acht bevor Ben sich Alex’ annahm.“
„Wer war sie?“, fragte Juliet.
„Ihr Name war Annie“, erklärte Richard.
„Was für ein Problem hat der mit mir?“, beschwerte sich Ben. „Der guckt mich immer an, als würde er erwarten, dass ich ihn in einen Bärenkäfig sperre und mit ’nem Stock verprügel’!“
„Das bildest du dir ein“, versuchte Annie Ben zu besänftigen. „LaFleur verdächtig prinzipiell jeden. Außer Juliet und vielleicht noch Miles traut er keinem über den Weg. Sag mir mal lieber, ob wir als nächstes zu Chang, Lewis oder Goodspeed gehen?“
„Ich weiß nicht. Ich schätze mal, dass Dr. Chang und Horace bei der Feier sind, oder?“, sagte Ben.
„Also gehen wir zu den Lewis’“, beschloss Annie daraufhin.
„Aber ich klettre nicht in den Wandschrank“, erwiderte Ben und eilte Annie hinterher, die ihre Hand schon fast an der Tür hatte.
Jeanette Lewis öffnete ihnen die Tür.
„Ach, ihr zwei seid’s“, sagte Jeanette.
„Wen haben Sie denn erwartet, Mrs. Lewis?“, fragte Ben.
„Eigentlich hatte Amelia vor auf Charlotte aufzupassen, aber sie kommt wohl nicht“, erklärte Jeanette und sah sich draußen um, als wolle sie sich vergewissern, dass Amelia Rom nicht hinter irgendeinem Busch wartete. „David und ich wollten eigentlich noch zu der Feier.“ Ben dachte nur: Sag es nicht, Annie, sag es nicht! Aber natürlich sagte sie es: „Wir könnten Charlotte ja mitnehmen und wenn wir unsere Runde beendet haben, noch etwas auf sie aufpassen.
„Und weiter?“, bohrte Juliet. „Was war an Annie so besonders? Außer das sie die erste war? Oder... warte, Moment... soll, dass heißen... .“
„Ja“, bestätigte Richard. „Das erste Kind, was auf dieser Insel tot geboren wurde, war Bens Tochter. Die drei Personen, die Ben am meisten bedeuteten, starben alle durch Komplikationen am Ende der Schwangerschaft: seine Mutter Emily, Annie und seine Tochter Juliet.“
„Juliet?“, fragte Juliet ungläubig.
„Er wollte sie nach der Frau benennen, die ihm das Leben gerettet hatte“, erklärte Richard. „Ein Bild von ihr hängt noch immer in Bens Wohnzimmer. Als er zwölf war, wurde Ben angeschossen und ehe man ihn zu mir brachte, hat sie ihn behandelt, am Leben gehalten.“
„Von so etwas redet er ausgesprochen selten“, stellte Juliet fest. „Aber es erklärt einiges.“
„Du magst ihn nicht sonderlich, wie?“, fragte Richard.
„Wen?“
„Ben – du kannst ihn nicht leiden“, stellte Richard fest. „Tröste dich: die wenigsten tun das. Doch wir alle akzeptieren, dass Jacob ihn auserwählt hat und dass unser Überleben maßgeblich von seinem abhängig ist.“
„Aber kennst du die Kriterien nach denen Jacob ihn auserwählt hat?“, fragte Juliet.
„Ich stelle Jacob nicht in Frage, Juliet, das steht mir nicht zu“, wich Richard aus. „Niemandem steht das zu, nicht einmal Ben. Jacob hat einen Plan und er weiß, was er tut. Er ist überaus weitsichtig und niemand steht ohne Grund auf der Liste, auch du nicht.“
Es war schon nach Mitternacht, als Ben heimging. Einige Erwachsene waren noch auf der Party. Ben hatte die letzten vier Stunden mit Annie und Charlotte verbracht, bis Charlottes Eltern heim gekommen waren.
„Nettes Kostüm“, rief ihm ein Mann zu, der auf der Schaukel am Spielplatz saß. „War der Abend ertragreich?“
Ben trat näher. Der Mann war groß und schlank, doch von seinem Gesicht war kaum etwas zu erkennen – nicht so sehr weil es so dunkel war, sondern vor allem, weil das Kostüm des Fremden nur zwei schmale Schlitze für Augen und Mund frei ließ. Doch obwohl Ben nicht einmal erahnen konnte, wer der Mann war, kam er ihm merkwürdig vertraut vor, als kenne er ihn schon sein ganzes Leben.
„Es geht“, murmelte Ben und setzte sich neben den Mann auf die zweite Schaukel. „Ihr Mumienkostüm ist aber auch nicht schlecht, Sir.“
„Mumie?“, stieß der Mann empört aus. „Ich bin Osiris, der altägyptische Gott der... .“ Er sah in Bens misstrauisches Gesicht, die zweifelnden Augen. „Okay... es ist ’ne Mumie“, stöhnte der Mann und gab sich geschlagen. „Ich weiß, ist sicher nicht so ausgefallen wie Norman Bates, aber dafür aufwendiger.“
„Sie sind der erste, der das erkannt hat“, sagt Ben triumphierend und wollte dann wissen: „Haben Sie Ihr Kostüm selbst gemacht?“
„Aber selbstverständlich“, entgegnete der Mann. „Ich bin in diesen Bereichen einigermaßen begabt. In meiner Freizeit webe und knüpfe ich sogar Teppiche.“
„Tja, wenn Sie das Kostüm entworfen haben, können Sie wohl auch entscheiden, was es darstellt“, meinte Ben nun.
„Sehr richtig“, sagte Bens Gegenüber. „Ich mag dich, Benjamin. Du bist ein cleverer Bursche und wirst sicher einmal Großes leisten. Ich muss dann mal wieder. Die Pflicht ruft“ Er stand auf und dann hielt er Ben einen Schokoriegel hin.
„Danke“, sagte Ben, klang dabei aber überaus betrübt.
„Hey, Kopf hoch“, sagte der Mann und drückte Bens Kinn mit der linken Hand sanft nach oben. „Ich weiß, dass du dich einsam fühlst, doch manche Menschen sind nun einmal zum Leiden gemacht, deshalb gewinnen die Red Sox auch nie der Series. Doch wenn ein Mensch aus diesem Leid gestärkt hervor geht, kann er über sich selbst hinauswachsen.“
Richard klopfte an Bens Tür. Nach einer Weile wurde sie geöffnet.
„Neue Anweisungen von Jacob“, eröffnete Richard und gab Ben den Zettel, den er zuvor vor Juliet hatte verbergen wollen. Ben nahm den Zettel in die Hand und las ihn aufmerksam.
„Warum will Jacob, dass wir einen Zehnjährigen entführen, dessen Vater hier auf der Insel ist?“, wollte Ben wissen. „Wohl ist mir dabei nicht.“
„Ich bin nur der Bote, Ben“, erwiderte Richard.
„Ja, ich weiß“, sagte Ben. „Ich kümmere mich gleich morgen drum. Gute Nacht und... Happy Halloween!“